Entlastung für die Reichen

Mit einem Paket von Steuersenkungen umwirbt Frankreichs Finanzminister die Gutverdienenden

PARIS taz ■ Bis vor drei Jahren propagierten die französischen Sozialisten, Kommunisten und Grünen eine „soziale und ökologische Steuerpolitik“. Gestern kündigte ihr Finanzminister Laurent Fabius das exakte Gegenteil an. In einem sorgfältig inszenierten und seit Wochen angekündigten Auftritt stellte er Steuersenkungen für alle in Aussicht – auch für jene 260.000 Spitzenverdiener, die bislang 54 Prozent Einkommensteuer zahlen. Neben der Senkung der Einkommensteuer und der Unternehmensteuer und neben der Reduzierung der Sozialabgaben für Mini-Verdiener verkündete er auch die sofortige und ersatzlose Streichung der „Vignette“ – der Kfz-Steuer. Sämtliche Mitglieder der der rot-rosa-grünen Regierung waren’s zufrieden.

Bis ins Jahr 2003 sollen die jetzt angekündigten Steuersenkungen eine Summe von 120 Milliarden Franc (rund 35 Milliarden Mark) ausmachen. Nach Deutschland, Belgien und den Niederlanden beteiligt sich Frankreich damit nun auch an dem europaweiten Wettlauf um die niedrigsten Steuern.

Steuersenkungen ohne weitere Präzisierung waren in Frankreich bereits seit Monaten vorgesehen. Dank des guten Wirtschaftswachstums waren die Staatseinnahmen durch Steuern in den vergangenen zwei Jahren unerwartet gestiegen. Hinzu kommen die Milliardeneinnahmen durch den Verkauf einstiger Staatsunternehmen.

Der gegenwärtige Zeitpunkt musste der rot-rosa-grünen Regierung auch deshalb günstig erscheinen, weil sie sich in den Vorbereitungen auf drei Urnengänge befindet: Kommunalwahlen im nächsten Jahr und Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2002. Schon die Benennung des Sozialliberalen Fabius als Nachfolger von Dominique Strauss-Kahn an der Spitze des Finanzministeriums hatte nahe gelegt, dass das Liebeswerben um die französische Mitte beginnen sollte.

Die Senkung der Einkommensteuer um zwischen 1,5 Prozent für Spitzeneinkommen und 3,5 Prozent für die unteren Stufen ist ein deutliches Signal an die Mittelschicht. Kein Niedrigverdiener in Frankreich zahlt Einkommensteuer. Auch die Senkung der Unternehmensteuer wird das Gros der klassischen französischen Linkswähler wenig beeindrucken. Von einer Senkung der Mehrwertsteuer aber war bei Fabius keine Rede mehr.

Einen Ausgleich für untere Einkommensgruppen sollen die Befreiung von den Sozialabgaben und die Abschaffung der „Vignette“ darstellen – auch wenn der Wegfall der 1956 eingeführten Steuerkarte für Autofahrer sozial durchaus unterschiedlich wirken wird. Während für einen Kleinwagen wie den Renault Twingo jährlich nur knapp 200 Franc für die Vignette fällig waren, fielen für einen großen Mercedes bis zu 12.000 Franc an. Entsprechend unterschiedlich fällt die Ersparnis der französischen Autofahrer aus. Die französischen Grünen, die mit ihren autofreien Tagen etc. den Eindruck erweckt hatten, sie stünden dem zunehmenden Individualverkehr kritisch gegenüber, schwiegen. Die Kommunisten, die offiziell eine Umverteilung von oben nach unten wollen, auch.

DOROTHEA HAHN