„Wir alle werden Sie wählen“

Am Tag nach dem Blutbad in Wilhelmsburg präsentiert sich Ronald Barnabas Schill vor Ort und diskutiert die Sicherheitslage: „Ich bin hier, um künftige Opfer zu vermeiden.“  ■ Von Elke Spanner

Mitten auf der Kirmes steht Ronald Schill und zieht sich eine Bratwurst rein. „Oh no no“, schallt es vom benachbarten Karussell, das ohne Kinder Runde um Runde dreht. Der Schausteller behauptet trotzdem über Mikrofon, „da kommt noch mal Stimmung auf“, als Schill in Stellung geht. Er wischt sich die letzten Senfreste vom Mund, verzieht sorgenvoll das Gesicht und sagt: „Ich bin hier, um künftige Opfer zu vermeiden“.

Schill findet, mit der Kriminalität in Wilhelmsburg kann es so nicht weitergehen. Die Leute um ihn herum finden das auch. „Die Strafjustiz wird immer mehr zum SIcherheitsrisiko“, ruft er, und zwei Frauen Mitte Vierzig, die sich gerne einen Moment von ihrem Wochenendeinkauf abhalten lassen, bekräftigen: „Genau“. Schill verkündet, dass Bürgermeister Ortwin Runde längst „jegliche Bodenhaftung“ verloren habe, „der kommt nicht mal in die Stadtteile“. Schill hingegen, der ist vor Ort. Da, wo vor wenigen Wochen der kleine Volkan von einem Kampfhund zerfleischt wurde. Da, wo am Vortag eine Frau und ihre beiden Töchter vom ehemaligen Geliebten mit Kopfschüssen „regelrecht hingerichtet“ und sogar „hingerichtet und brutal ermordet worden sind“. Da, wo die Emotionen sind. Die Leute danken es ihm. „Endlich mal jemand, der durchgreift“, nickt ein Rentner anerkennend, ehe Schill berichten konnte, wie er das zu tun gedenkt.

Schill, ehemaliger Strafrichter, Vorsitzender der „PRO – Partei rechtsstaatlicher Offensive“ und wegen Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung in drei Wochen selbst als Angeklagter vor Gericht, thront dank seiner Größe leicht über der Menge auf dem Wilhelmsburger Bertha-Kröger-Platz. Von oben blickt er auf die Leute herab, die ihm schon heute versprechen, seiner Partei bei der nächsten Wahl ihre Stimme zu geben, „wir und alle unsere Freunde auch“. Das hört er gerne, wohlwollend lächelt er seinem Wahlvolk zu und vergisst für einen Moment, dass er wegen schwerwiegender Probleme angereist ist und Sorge im Gesicht zu tragen hat. Er aber kann Hoffnung spenden. Denn er hat die Lösung aller Probleme auf die Elbinsel mitgebracht. Seine Partei will einen „Arbeitskreis Innere Sicherheit“ gründen, extra für Wilhelmsburg. Außerdem müssten die vielen Ausländer aus Wilhelmsburg weg über die Stadt verteilt werden. „Auf der eigenen Insel erstickt man unter Ausländern“, ruft ein schnauzbärtiger Mittdreißiger mit zerschlissenem Jacket, und Schill nickt mitfühlend: „Das Boot ist voll.“

Das bürgernahe Gespräch kommt nur in Gang, wenn die Bürger Schill auch nahe sind. Einer der Umstehenden weiß, dass bei dem Blutbad am Donnerstag die Mordopfer Polinnen, der Täter ein Deutscher war. „Das passt wohl kaum in Ihr Bild“, frotzelt er und fragt Schill: „Was sagen Sie dazu?“ Der weiß, was er auf unliebsame Einwürfe zu sagen hat: „Stellen Sie sich erstmal vor, wer sind Sie überhaupt?“ Der Provokateur scheut sich nicht, seine Identität preiszugeben, und outet sich als Bezirksabgeordneter der GAL. In den Augen der Umstehenden hat er sich damit klar disqualifiziert. Karl-Heinz Tobuschat, Vorsitzender des örtlichen konservativen Siederlervereins, fuchtelt mit dem Zeigefinger hektisch vor des GALiers Nase herum und schreit: „Aufgrund der letzten Wahl haben Sie als GAL kein Recht, für den Stadtteil zu sprechen“. Er hingegen nimmt das Recht gerne in Anspruch. Denn er, teilt er Schill dann mit, ist „selber Bürger“. Aufgebracht, wie er ist, spuckt er beim Sprechen immer wieder vor sich hin. Schill mustert seinen künftigen Wähler leicht angewidert, muss den Blick aber auf ihm lassen und den Kopf interessiert zur Seite neigen, wegen der Bodenhaftung.

Seine Anhänger versprechen Schill den Sieg bei der nächsten Wahl. Früher, erklärt ihm Tobuschat, hätten viele Wilhelmsburger die NPD gewählt, nur aus Protest natürlich. Aber „die wollen wir nicht“, nein, „die wollen wir nicht“, echot es aus dem Hintergrund, und deshalb ist Tobuschat so froh darüber, dass es nun die PRO geben wird und er endlich genau weiß, wem er seine Stimme zu geben hat.