Jede Menge grüner Kröten

■ Seit Montag ist auch die Grundschule am Pulverberg „verlässlich“, trotz Raumnot, Personalproblemen und fehlender Kontinuität für die Kinder

Osterfeuerberg ist eine Insel. Bahndamm, Autobahnzubringer und Osterfeuerberger Ring begrenzen den kleinen Waller Ortsteil, der nach Norden in die Prärie der Kleingärten übergeht. Für Kinder ist es schwer, ohne erwachsene Hilfe diese Barrieren zu überwinden. Sie wachsen in einem Quartier auf, das als „sozialer Brennpunkt“ gilt. In Osterfeuerberg leben viele sozial schwache Familien, Alleinerziehende, Ausländer. Mittendrin: Die Grundschule am Pulverberg.

Am Montag wurde hier – wie an über 70 anderen Bremer Schulen – die „Verläßliche Grundschule“ eingeführt. 300 Kinder gehen am Pulverberg zur Schule. Zwischen 7.45 und 12.45 Uhr sollen sich die Eltern nun darauf verlassen können, dass ihre Kinder sicher betreut werden. 70 Prozent von ihnen haben ihren Nachwuchs für das neue Angebot angemeldet; neun MitarbeiterInnen kümmern sich um ihn. Die taz machte eine Stippvisite in dem Backsteinbau an der Schleswiger Straße, um die neue Verlässlichkeit zu erkunden.

Mittagszeit, eine zweite Klasse. Gerrit und Raman basteln Sternhandschuhe aus goldenem Staniolpapier und Fotokarton. „Die werden zusammengetackert“, erklärt der achtjährige Gerrit. Andere Kinder haben kleine Schultüten aus Papier gebastelt. Für die Einschulungsfeier. Sabina malt das Meer und jede Menge grüner Schildkröten. Mustafa lärmt durch das Klassenzimmer. „Ein bisschen leiser!“, ruft Betreuer Reinhold Schwietz. Dann hat die Verlässlichkeit ein Ende, und die Kinder zischen ab nach Hause.

Er sei diplomierter Kunsttherapeut und -pädagoge, habe über sieben Jahre Jugendarbeit gemacht, erkärt der 40-jährige. Eigentlich sei er „überqualifiziert“, aber die neue Arbeit mache ihm Spaß. Inhaltliche Vorgabe habe er keine. Schwietz ist der einzige der neuen Mitarbeiter am Pulverberg, der eine halbe Stelle bekommen hat. Auf weniger hätte er sich auch nicht eingelassen, sagt der Pädagoge, der erst Ende letzter Woche sein Vorstellungsgespräch hatte.

Es sei sehr schwer gewesen, überhaupt geeignete Leute zu finden, berichtet Rektor Edzard Steffens, „wir haben bis zur letzten Sekunde gesucht“. Viele Bewerber sind Steffens zufolge abgesprungen, weil sie sich einen festen Job erhofft hatten und keine Wochenarbeitszeit von 4,5 oder 7,5 Stunden. Ähnliches hört man auch aus anderen Grundschulen. Zum Teil soll per Handzettel nach Betreuungskräften gesucht worden sein. Kritiker der verläßlichen Grundschule sehen in dem Modell ein Billiglösung und befürchten eine reine „Aufbewahrung“, da für die Zeit zwischen Schulschluss und Ende der Betreuungszeit keine ausgebildeten Lehrer eingesetzt werden. Besonders diejenigen Schulen klagen, die bereits „volle Halbtagsschulen“ waren. Am Pulverberg arbeiten jetzt Lehramtsstudenten, Hausfrauen, Sozialpädagogen, Hortmitarbeiter. Meist sind es geringfügig Beschäftigte. Betreuung als Nebenjob.

Das ist nicht der einzige Punkt, mit dem Rektor Steffens nicht zufrieden ist. Die verlässliche Grundschule sei zwar zu berüßen, sei jedoch zu schnell gekommen. Ein großes Problem ist aus seiner Sicht, dass der Kinderhort gegenüber jetzt vormittags geschlossen ist. „Die Hortkinder sind ohnehin schon benachteiligt“, sagt Steffens. Jetzt würden sie überfordert, weil sie mit einer zusätzlichen Bezugsperson klarkommen müssten. Auch seine Kollegin Uta Wolter ist der Meinung, dass die Kinder „viel besser in einer Hand“ aufgehoben wären. Sie befürchtet auch, dass die „Fluktuation bei den Betreuungskräften sehr groß ist“.

Rektor Steffens meint überdies, dass seine Schule – ein Jahrhundertwendebau – nicht über die geeigneten Räumlichkeiten verfügt. Es fehlten Möglichkeiten, auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen – nach Entspannung etwa. „Wir sind kein Hort, dies ist ein Klassenraum!“ Die Zeit bis 12.45 Uhr sei viel zu lang.

Zweitklässler Gerrit indessen kann das alles nicht schocken. Er finde es gut, sagt er, dass er jetzt länger in der Schule bleiben dürfe. Und dann kommt die überraschende Begründung: „Weil man dann mehr lernt.“ hase