Grenzgänger im Latinostadl

■ In der Reihe „Sparkasse in Concert“ gastierte das US-Duo „Calexico“ im Schlachthof

„Hot Rails“ verlaufen durch Tucson, Arizona, Grenzgebiet zwischen Mexico und den USA, Heimat von Joey Burns und John Convertino alias „Calexico“. Es ist eine ideelle Heimat, eine Art Zufallsfund, Schnappschuss einer Tournee mit ihrer Hauptband „Giant Sand“, wo Burns und Convertino die Rhythmussektion bilden. Gegenüber vom Bahnhof liegt das „Hotel Congress“, wo sie damals spielten. Ein Gebäude wie ein Selbstzitat: Die Brüchigkeit des Grenzlands, die altgewordenen Klischees des Western.

Die CDs von „Calexico“, die zugleich Konzeptalben und deren Gegenteil sind, haben eine visuelle Qualität. „Hot Rails“, die letzte Platte, macht da keine Ausnahme. Oft sind sie mit Filmmusik, akustischen Roadmovies verglichen worden, von den Bildern ausgehend. Beim Hören der Platten kommen sie wieder zu sich – im Kopf. In Arizona war ich noch nie. Doch darüber, wie's dort, in Tucson, zugeht, will ich von Burns und Convertino auch gar nichts erfahren.

Aber erzählen können sie gut, lassen Freiräume, ich & meine Klischeebilder, Kopfroman, Kopffilm – oder eben auch Musik. Die bisherigen drei Alben sind vollgestopft mit Zitaten. Doch geht es „Calexico“ im Gegensatz zu vielen KollegInnen eher um Atmosphärisches denn um Ironie. Ihre Platten, die Ungleichzeitigkeiten ausloten, wie es der Blick auf das „Hotel Congress“ tut, sind ernste Platten, die trotzdem Spaß machen. Vielleicht auch gerade deswegen – ein musikalischer Melting pot des Südwestens, mit Country, TexMex, Westernrock, aus dem aber keine Utopie entspringt.

Die Konzertsituation hat etwas Bizarres. Denn alle schauen gebannt Richtung Schlachthof-Bühne, wo eine Reihe von Musikern etwas tut, was eigentlich eher atmosphärisch funktioniert, etwa wie Barjazz oder Sounddesign. Convertino ist verhindert, darum trommelt ein anderer. Auch nicht schlecht, doch geht einiges an Nuancen verloren. Außerdem ist so niemand da, der das Akkordeon spielt, das dem Gesamtklang auf den Platten immer eine leichte (und leicht irritierende) frankophile Note verleiht.

Die ruhigen Singer/Songwriter-Sachen von Burns werden immer wieder durch einen satten Bläsersatz ergänzt. Alles klingt, als könne man sich auf ein schönes Konzert einrichten. Mit anderen Schwerpunkten als auf dem Tonträger zwar. Aber dennoch. Bis „Luz de Luna“ auftreten, drei Mariachi, mit Sombreros und der traditionellen Instrumentierung.

Auf „Hot Rail“ passt sich der Mariachi-Sound gut in den Gesamtzusammenhang ein. Hier aber wird aus dem vielschichtigen Klangmaterial – und ungeachtet individueller Fähigkeiten – eine Art Latinostadl. Immer wieder droht das fragile, ruhige Konzept auseinanderzubrechen. Die Qualität von „Calexico“, im positiven Sinne Konsensmusik zu sein, weil viel drin ist ohne dadurch an Stimmigkeit zu verlieren, kommt nicht rüber. Leider. Immer mehr droht der Ethnoaspekt die Ausgewogenheit des Ganzen zu dominieren. Und das gockelhafte Mariachigehabe wird zum billigen Witz, so dass „Calexico“ sich eindeutig unter Wert verkaufen. Schade.

Man fragt sich, ob die Begeisterung unter den Zuhörenden die gleiche Euphorie erreicht hätte ohne das Mexikogedudel.

Tim Schomacker