Der Mullah von Bullerbü

von WIGLAF DROSTE und GERHARD HENSCHEL

Es war Murmeltiertag. Eben noch war Gisela Güzel mit dem Barbier von Bebra durch Lissabon spaziert, und Deutschland hatte endlich schön in Schutt und Asche gelegen. Aber dann hatte Gerhard Schröder in Nullkommanichts alles wieder aufgebaut.

Selbst die alten Fahndungsakten waren wieder da: Honka, Haarmann, Hannibal Lecter. Der leidige Papierkrieg ging wieder von vorne los.

Die Kommissarin hätte gerne einen Anfall von Realitätsverlust erlitten. Bei Dorothy Sayers hatten die Frauen noch in Ohnmacht fallen dürfen. Heute war das ja leider verpönt.

Eine Kreissäge sang ihr schauriges Lied. Vorschlaghämmer hämmerten gegen die Außenwand. Mit einem mächtigen Wumms zerteilte eine Abrissbirne das Mauerwerk, schwang knapp an Gisela Güzels Kopf vorbei und sauste wieder hinaus.

Aus einer Mörtelwolke tauchte ein Maurer auf. „Tschuldigung, Verehrteste. Ich wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen, aber ich soll hier neue Fenster einsetzen. Ovale. Ich versteh das selber nicht. Wissen Sie vielleicht Bescheid?“

Die Kommissarin schüttelte den Kopf und betrachtete den staubigen Eindringling. „Nein“, sagte sie. „Aber Sie haben eine bemerkenswerte Art, sich vorzustellen. Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?“

„Gerne.“ Der Mann nahm ein Flüppchen und gab Gisela Güzel Feuer. „Also, draußen liegen achtzig Eierfenster. Ich kann das immer noch nicht glauben.“ Er zückte ein Papier aus der Brusttasche. „Hier. Ovale Fenster. Achtzig Stück.“

Gisela Güzel studierte das Dokument. Das Büttenpapier war mit Anthroposophenrunen umsäumt. Der Text war reiner Steiner, unterzeichnet von Otto Schily: „An das deutsche Volk! Es muss Schluss sein mit den rechten Ecken, die das Geistesmeereswesen in den Seelentiefen des Menschen am Fließen hindern. Deshalb ordne ich hiermit an, dass alle Fenster in Behörden rund sein sollen. Oder oval. Hauptsache nicht eckig. Sonst geht’s euch dreckig!“

„Ach du dicker Vater“, seufzte die Kommissarin und suchte nach der Büroflasche. Der Jameson stand noch immer an seinem alten Platz zwischen den Wasserlilien. Der letzte Krieg hatte dem Whiskey nichts anhaben können. Sie pustete den Staub aus zwei Gläsern, polierte sie mit dem Saum ihrer Bluse und schenkte ein. „Gisela Güzel. Prost.“

„Max Meier. Prost auch!“

Sie tranken. In diesem schönen Moment kam der Kriminalassistent Alexander Schnabel hereingeplatzt. „Wenn die Scheiben nicht bis drei Uhr drin sind, wird die Gage nicht rausgeblockt!“, motzte er den Maurer an. Dann fiel sein Blick auf den Jameson. „Sie trinken im Dienst, Frau Kommissarin?“

„Ja.“

„Wissen Sie denn nicht, dass Alkohol eine geradezu vernichtende Wirkung auf den Verstand hat, und besonders auf die Zirbeldrüse?“

„Nein.“ Die Karikatur eines Lächelns kräuselte Schnabels dürftige Lippen.

„Was bist denn du für’n Hacho?“, fragte der Maurer. „Hast du hier was zu melden?“

Der Kriminalassistent wechselte die Gesichtsfarbe schneller als Mutter Beimer die Bettwäsche. Sein Deodorant versagte.

„Banner bannt Körpergeruch“, sagte der Maurer und hielt sich die Nase zu.

Schnabel verduftete. Doch es wurde nicht still in der kleinen Bullerei am Ende der Straße. Böiger Wind fegte Gestrüppkugeln übers Trottoir, als zwei Zivilfahnder eine Stöckelgeis hereinschleiften. „Die hat das Grab von Marlene Dietrich geplündert und die Leiche ausgesaugt!“

„Warum machen Sie sowas?“, fragte Gisela Güzel und betrachtete die schmutzige junge Frau. Ein pansiger Geruch lag in der Luft.

„Sehen Sie mich doch an“, schluchzte Katja Flint. „Ich bin völlig blutleer. So kann ich gegen die ganzen Rampenschlampen nicht bestehen. Da dachte ich mir: Basics, Baby! Back to the roots! Ran an die Mutter des deutschen Films! Volle Möhre!“

Es war zum Fadosingen. „Ich glaube, ich möchte diese Frau nie wiedersehen“, näselte der Maurer, der sich noch immer die Nase zuhielt.

Die Kommissarin fasste sich an den Kopf. Es zischte. „Willkommen in Berlin“, stöhnte sie leise.

Fortsetzung am Montag

Vorabdruck aus: Droste / Henschel, „Der Mullah von Bullerbü“; Edition Nautilus, Hamburg 2000