Dokumentarische Zukunft

Der Kurs der TV-Dokumentationen in Richtung seichte Entertainment-Gewässer ist gesetzt: In Babelsberg orakelten die Medienmacher von erfolgreicher Authentizität und „echten Geschichten“

von PEER SCHADER

Echte Menschen, echte Geschichten: So sieht das neue Gewand aus, das die Medienmacher nun der eigentlich bereits ins Quoten-Aus katapultierten TV-Dokumentation gestrickt haben. „Real people, real stories“ verkauft demnach auch Kogel-Ablöse Martin Hoffmann, noch-stellvertretender Sat.1-Programmgeschäftsführer, der Branche als Erfolgskonzept der Zukunft. Zur internationalen Konferenz für Film und Fernsehen „Babelsberg 2000“ (siehe taz vom 1. 9. 00) orakelte Hoffmann quasi stellvertretend für die privaten TV-Anbieter schon mal vom Durchbruch der dokumentarischen „Non-Fiction“ und gab den Kollegen unmissverständlich zu verstehen, wohin die Doku-Reise gehen wird. Nämlich in ebenso seichte wie quotenträchtige Entertainment-Gewässer.

Längst verstehen die Medienmacher unter TV-Dokumentationen nicht mehr bloß aufwendig produzierte Formate nach seriösem BBC-Vorbild. Dokumentarisch ist nunmehr alles, was nur in geringstem Maße authentisch wirkt. Also nach Meinung der Privaten auch die so genannten „Non-Fiction“-Formate, etwa „Big Brother“ oder das eben erst versandete „Inselduell“. Die „unterhaltsam aufgearbeitete Information“ ist schließlich im Verhältnis zu TV-Filmen oder Serien äußerst günstig zu produzieren und holt die Zuschauer trotzdem vor die Glotze. Kein Wunder also, dass die Fernsehsender immer häufiger nach den Infotainment-Formaten gieren. Das beste Beispiel für die entertainisierte Wiederauferstehung des Doku-Genres hat Hendrik Hey mit seinem 1997 gegründeten Produktionsgoldesel H5B5 abgeliefert.

Hey bastelte einst für Sat.1 die dokumentationsähnliche Reihe „Was geschah wirklich?“ und hat seit dem Produktionserfolg mit „Welt der Wunder“ bei Pro Sieben gute Karten. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Jan Herrmann hat sich Hey darauf spezialisiert, „Geschichten zu erzählen“. Und zwar solche, die die Zuschauer „emotional berühren“, dennoch aber den Anspruch erheben, Wissen zu vermitteln. H5B5 verkauft seine Dokumentationsreihen, oft mit aufwändigen Special Effects am Rechner generiert, inzwischen in alle Welt. Als Nächstes wollen die Münchener, die den Trend zum bebilderten TV-Schulunterricht frühzeitig erkannt haben, gar die Geschichte der Menschheit in bunten Bildern erzählen.

Wie weit die Verwässerung des Genres gehen kann, demonstrierte US-Branchenprofi Peter Hamilton, Betreuer von Doku-Redaktionen bei BBC und NBC News, den Babelsbergern mit einem Ausblick auf das Unvermeidliche. „New York Confessions“ heißt etwa eine US-„Doku“, bei der die Zuschauer einen „seltenen Einblick in die Gedanken eines Mörders“ erhalten und sich unscharfe Bilder ansehen können, die Überwachungskameras bei Geständnissen von Schwerverbrechern in den New Yorker Polizeistationen aufgezeichnet haben. Dokumentarisch ist eben, was authentisch wirkt.