„Die Leute werden hier abgeworben“

Immer mehr Hochschulen haben regenerative Energien im Lehrangebot. Die Konkurrenz untereinander macht die Auswahl zunehmend besser

„Gebraucht wird der Maschinenbauer, der sich mit Energietechnik auskennt.“

Für Gerit Erbeck in Niederneuching (Landkreis Erding) war klar, dass er in der nahe gelegenen bayerischen Landeshauptstadt München Elektrotechnik studieren würde. Als Berufsziel hatte er „irgendwas im Bereich Umwelttechnik“ im Kopf. Er probierte es zunächst an der Technischen Universität, doch nach vier Semestern und einer Zwangspause bei der Bundeswehr wechselte er zur Fachhochschule München. Das Studium an der TU „war zu theoretisch“, sagt der 27-Jährige heute. An der FH stieß Erbeck irgendwann auf die Vorlesung „Neue Energiesysteme“ bei Professor Gerd Becker. In den begleitenden Praktika zur Vorlesung fing Erbeck Feuer für die Photovoltaik. Dort lernte er zum Beispiel auch die Simulation der Solarstromversorgung für eine Berghütte kennen. Inzwischen macht Erbeck sogar selbst Führungen, beispielsweise zu der ein Megawatt leistenden Solarstromanlage auf dem Dach der Neuen Messe in München, und will seine Diplomarbeit über ein Photovoltaikthema schreiben.

Während in den letzten Jahren die Zahl der Studierenden in den Ingenieursfächern deutlich zurückgegangen ist, erfreuen sich Lehrveranstaltungen und ganze Studienrichtungen mit dem Schwerpunkt „erneuerbare Energien“ wachsender Beliebtheit. „Das Thema spricht die Studierenden besonders an, aber es ist noch nicht ausreichend breit in der Lehre verankert“, sagt Professor Christian Schaffrin (56), der am Institut für Angewandte Forschung der Fachhochschule Konstanz seit Ende der 80er-Jahre den Schwerpunkt „Energiewandlung in Solarsystemen“ betreut. Schaffrin spürt noch immer große Vorbehalte bei Kollegen, die unter anderem damit argumentieren, spezifisch in erneuerbaren Energien ausgebildete Leute würden auf dem Markt derzeit nicht benötigt; die an der Hochschule vermittelten allgemeinen Grundlagen würden ausreichen, um sie auch auf die erneuerbaren Energien anzuwenden.

Das jedoch hält Schaffrin für den falschen Ansatz. Er plädiert dafür, das Allgemeinwissen am Beispiel der zukunftsträchtigen Energien zu demonstrieren. „Die Generation, die wir entlassen“, sagt der Hochschullehrer, „hat mit dem Umbau der Energiewirtschaft zu tun, und darauf will ich sie vorbereiten.“ In Konstanz ist man schon eine ganze Weile dabei, nicht nur einzelne Energieträger, sondern die regenerativen Energien als ganzes System zu betrachten, das eingebettet ist in die Infrastruktur der derzeitigen Energieversorgung. Schaffrins Team arbeitet zum Beispiel an einer Software zur Planung von Anlagen, die gleichzeitig auf Biomasse, Biogas, Wind-, Wasserkraft und Photovoltaik bauen.

Das Geld für die Forschung muss Schaffrin dabei selbst auftreiben, weil sich die öffentlichen Geldgeber aus der Finanzierung zurückgezogen haben. „Ich schreibe eine Unmenge von Anträgen, von denen vielleicht fünf Prozent bewilligt werden“, klagt der Professor. Auf der anderen Seite tue sich die Solartechnik besonders schwer, bei der Wirtschaft Drittmittel einzuwerben: „Die Firmen sind trotz aller Euphorie zurückhaltend.“

Konkurrenz gibt es mittlerweile nicht nur um Drittmittel, sondern auch um Studierende. Die Abteilung Jülich der FH Aachen, die lange Zeit als einzige in Deutschland den Studiengang „Energie- und Umweltschutztechnik“ anbot, hat deutlich an Studierenden verloren, weil inzwischen viele andere Fachhochschulen mit ähnlichen Angeboten nachgezogen haben. Dennoch bietet der Studiengang mit dem Solar-Institut Jülich, einer zentralen Forschungseinrichtung der FH, noch immer eine besondere Attraktivität. Jährlich finden dort zweiwöchige Sommerschulen mit vielen externen Referenten statt. Studierende können am Solar-Institut ihr Praxissemester absolvieren oder die Diplomarbeit schreiben. Um wieder anziehungskräftiger zu werden, bietet die FH Aachen in Jülich ab dem Wintersemester 2000/2001 ein zweijähriges englischsprachiges Aufbaustudium zum „Master of Engineering“ im Bereich Energietechnik an. In den zuständigen Fachgremien wird zudem ein Aufbaustudiengang „Solaringenieur“ diskutiert.

An der TU Ilmenau in Thüringen forschen gleich sieben Institute und Fachgebiete interdisziplinär auf dem Gebiet der Solartechnik. Von 1998 bis Anfang 2000 förderte das Thüringer Wissenschaftsministerium ein Verbundprojekt, bei dem ein solarthermischer Flachkollektor mit einer deutlich besseren Kennlinie entwickelt wurde. Ein Nachfolgeprojekt im Photovoltaikbereich ist in der Diskussion, stößt aber bei der Landesregierung auf wenig Gegenliebe. Thüringische Firmen wie PV Silicon, Antec Solar und ErSol Solarstrom machen deshalb Druck, um das Projekt durchzusetzen. Davon würden auch die Studierenden durch interessante Lehrveranstaltungen und Diplomarbeiten profitieren, sagt Professor Gerhard Gobsch, Sprecher des Thüringer Forschungsschwerpunktes Solartechnik.

Dass allerorten neue Studienangebote zum Thema erneuerbare Energien entstehen, findet Professor Rolf Hanitsch von der Technischen Universität Berlin gut: „Ich bin zufrieden, wenn mehrere Pflänzchen blühen, nicht nur eines.“ Der 60-Jährige hat sein Fachgebiet „Elektrische Maschinen und Antriebe“ am Institut für Elektrische Energietechnik schon vor 20 Jahren zu einer akademischen Hochburg für regenerative Energien gemacht. Besonderer Anziehungspunkt des Studiengangs Elektrotechnik an der TU Berlin: Als eines der drei Hauptfächer, die neben dem Schwerpunktfach im Hauptstudium zu belegen sind, steht das Gebiet „Photovoltaische Energiesysteme“ mit zehn Semesterwochenstunden zur Auswahl.

Vor einer zu starken Spezialisierung der Studierenden warnen allerdings nicht nur Vertreter der alten Zunft, sondern auch Photovoltaik-Experten wie der Ulmer FH-Professor Achim Bubenzer: „Der lupenreine Energietechniker wird nicht gekauft“, sagt Bubenzer, „aber vielleicht der Maschinenbauer, der sich in Energietechnik auskennt.“ An der FH Ulm hat man sich schon 1989 ein eigenes Modell ausgedacht, um die Studierenden auf die Zukunft vorzubereiten: den „Schwerpunkt Energietechnik“. Das ist kein eigener Fachbereich, sondern ein interdisziplinäres Lehrangebot für Studierende aus den Studiengängen Maschinenbau, Fahrzeugtechnik, Produktionstechnik und Wirtschaftsingenieurwesen.

Dass die Verbindung von breitem Grundlagenwissen und einer spezifischen Vertiefung erfolgsträchtig ist, beweist die noch junge ostbayerische Fachhochschule Amberg-Weiden mit dem Studiengang Umwelttechnik, dem einzigen seiner Art in Bayern. Er wurde am Standort Amberg zusammen mit Vertretern aus Industrie und Mittelstand konzipiert und bietet im Hauptstudium als einen von vier Schwerpunkten „Umweltgerechte Energietechnik“ an. Dabei „spielen die regenerativen Energien, insbesondere die Photovoltaik, eine Schlüsselrolle“, sagt Professor Markus Brautsch. Obwohl die 43.000-Einwohner-Stadt Amberg nicht gerade eine Studenten-Metropole ist, zieht der im Wintersemester 1997/98 angelaufene Studiengang Interessierte aus dem gesamten Bundesgebiet an. Die künftigen Absolventen sind bei der Wirtschaft schon jetzt heiß begehrt. Brautsch: „Die Leute werden von hier regelrecht abgeworben.“

JOHANNES BERNREUTER

Die Zeitschrift Photon hat einen „Studienführer Photovoltaik“ erstellt. In einer umfangreichen Tabelle findet man Studienrichtungen, Adressen und Ansprechpartner verschiedener Hochschulen und Fachhochschulen. Photon Juli/August 2000, 7,90 Mark plus Porto, Bezug: Solar Verlag, Wilhelmstraße 34, 52070 Aachen, www.photon.de.