lidokino
: Angeln und Weiblichkeit

Ultrabrutal

Gerade weil man auf Festivals irgendwann in einen merkwürdigen Bilderrausch gerät, kommt es gar nicht so selten vor, dass ein ganzes Kino unisono aufschreit, wenn auf der Leinwand Ultrabrutales im Gange ist. So brutal, dass die Vorstellung des koreanischen Films „Die Insel“ sogar unterbrochen wurde, weil eine junge Frau mit einem Schwächeanfall aus dem Raum geführt werden musste. Vielleicht war einfach niemand so recht gefasst auf das, was in Kim Ki-Duks Film geschieht. Eine hauchzarte Liebesgeschichte, möchte man erst mal meinen. In einem Häuschen am Ufer wohnt die junge Hee-Jin. Die Eigenbrötlerin vermietet kleine schwimmende Holzinseln, auf denen man am liebsten selbst den nächsten Urlaub verbringen würde. Ein junger Mann, Hyun-Shik, zieht auf eine der idyllischen Inseln. Blicke, zwei einsame Seelen, Flirt im Frühnebel – alles könnte so schön sein, aber schon die erste Liebesszene mündet in eine handfeste Prügelei. Es wird viel gefischt in diesem Film, und schon die Art, wie mit der gefangenen Beute umgegangen wird, lässt nichts Gutes ahnen. Der Fisch, das kreatürliche, geschundene Fleisch, und zwei Liebende, die aus lauter Angst vor Verletzung anfangen, sich selbst zu verstümmeln. Irgendwann verschluckt Hyun-Shik einen Strauß riesiger, messerscharfer Angelhaken und verschwindet Blut kotzend im See – um von seiner Liebsten buchstäblich zurückgeangelt zu werden. Mehr Haken, weitere Weichteile. Wohl koreanisch-konsequent, dass sie sich die Angelhaken schließlich unter konvulsivischen Zuckungen zwischen die Beine schiebt. Ab ins Wasser und seinerseits der Griff zur Angel. Auch wenn solche Bilder kaum zu ertragen sind, die diffuse, ausweglose Stimmung setzte sich im Kopf fest.

Und da wäre er auch schon, der erste kleine Trend der Filmbiennale! Robert Altmans neuer Film beginnt mit einem Schwenk über die gespreizten Beine einer Frau, wobei ein ekliges metallenes Instrument in sie hineingeschoben wird. Aber alles okay, wir befinden uns in der Praxis des Gynäkologen Dr. Travis. Richard Gere vom All-Time-Gigolo zum Frauenarzt zu befördern ist in seiner leicht schlüpfrigen Redundanz natürlich eine typische Casting-Idee à la Altman. „Dr T. And the Women“ könnte denn eigentlich auch „Der Arzt, der die Frauen liebte“ heißen. Farah Fawcett als Doktors infantil regredierte Upperclass-Ehefrau, Laura Dern als ihre ewig alkoholisierte Schwester, zwei nervige Teenie-Töchter und ein schrilles Frauengewimmel zwischen Luxusvilla, Praxisvorzimmer und den Shopping-Malls von Dallas. Aber irgendwie dann doch nicht überzeichnet genug, um die Parade weiblicher Klischees zu brechen. Kein Gesellschaftspanorama, eher Nummernrevue. What’s up, Dr A.? KATJA NICODEMUS