Pragmatismus pur

Handballbundestrainer Heiner Brand nimmt beim Vierländerturnier im Elsass eine Niederlage gegen Portugal gelassen hin, weil er das große Ganze, die Olympischen Spiele in Sydney, im Sinn hat

aus Straßburg FRANK KETTERER

Manchmal ist es ganz angebracht, die Dinge zu nehmen, wie sie sind, vor allem dann, wenn sie sich eh nicht ändern lassen. Das hat mit Gleichgültigkeit gar nichts zu tun, sondern schon eher mit Realismus und dem unbedingten Willen, aus ziemlich miesen Voraussetzungen das Beste rauszuholen.

In etwa so, wie Heiner Brand und die deutsche Handball-Nationalmannschaft das eine Woche schon vorgemacht haben: Vergangenen Montag hat der Bundestrainer beschlossen, nicht mehr über die kürzeste Vorbereitung einer deutschen Handball-Nationalmannschaft auf ein internationales Großereignis, in diesem Fall auf die Olympischen Spiele in Sydney, zu klagen; am Dienstag sind er und seine Spieler wie weiland Christoph Daum und Vizemeister Leverkusen, über glühende Kohlen gewandelt; am Mittwoch gab es ein 25:25-Unentschieden gegen Russland, den dreimaligen Olympiasieger; einen Tag später einen 21:19-Erfolg gegen Frankreich, Gastgeber des Viernationenturniers in Straßburg; und am Samstag schließlich eine doch unerwartete 23:24-Niederlage gegen die eher zweitklassigen Portugiesen, die den Deutschen damit den möglichen Turniersieg vermasselten. Brand hat am Ende noch nicht einmal das gestört, was wie gesagt nichts mit Gleichgültigkeit zu tun hat, sondern mit Realismus – und dem Blick fürs Wesentliche.

Das olympische Handball-turnier beginnt am 16. September, nur darauf gilt es die Mannschaft zu präparieren. Ergebnisse im Vorfeld verkommen da zu Randnotizen, wertlos und bald schon verstaubt. „Vielleicht tut uns ein Schuss vor den Bug ganz gut“, wertete Brand entsprechend die Pleite gegen die Portugiesen. Man habe gesehen, dass sich ein Spiel auch gegen einen vermeintlich schwächeren Gegner nur schwer noch umdrehen lasse, wenn schon bei Anpfiff die Einstellung nicht zu 100 Prozent stimmt. „Ich hoffe, dass alle daraus ihre Lehren gezogen haben“, sagte Brand. „Vielleicht wäre uns so etwas sonst bei Olympia passiert.“

Dann doch lieber jetzt, zumal das die Bilanz einer „sehr wichtigen und guten Woche für uns“ auch nicht kaputt machen kann. „Unser Ziel in diesen Spielen war, die Dinge, die wir im Training machen, umzusetzen“, stellte Brand fest. Die Abwehr steht schon stabil, auch im Angriff zeigten die Männer vom DHB teilweise Beachtliches, wenn auch noch zu unbeständig. Das wiederum kann nach nur einer Woche Training kaum anders sein, mehr Zeit zur Vorbereitung hat ihnen die Bundesliga nicht gelassen.

„Auf dem richtigen Weg“ wähnt sich der Bundestrainer „nach den Erfahrungen dieser Woche“ dennoch, jedenfalls würde der Mann mit dem Schnauzbart am Mittwoch „guten Mutes nach Sydney fliegen.“ Eigentlich – und wenn nicht Verletzungsnöte schon wieder plagen würden. „Die personellen Sorgen sind gewachsen“, musste Brand nach dem Turnier in Straßburg feststellen, bei dem Volker Zerbe wegen der Nachwirkungen einer Hüftprellung nur sporadisch zum Einsatz kam, Stefan Kretzschmar (Sprunggelenksverletzung am linken Fuß) nur die zweite Halbzeit des Portugal-Spiels bestritt, Frank von Behren sich in eben dieser Partie am Finger verletzte und Daniel Stephan nicht eine Minute spielte.

Selbst aus dieser Not zimmerte Brand flugs eine Tugend, wenn auch keine freiwillige: Den Rückraum widmete der Bundestrainer zur Experimentierzone um, in der vor allem Jörg Kunze vom TV Großwallstadt als Zerbe-Ersatz ungewöhnlich viel Spielzeit erhielt, links außen durfte der Nettelstedter Sven Lakenmacher zeigen, dass er Superstar Kretzschmar durchaus vertreten kann – und zwar gleichwertig, nachdem von Behren verletzt ausgeschieden war, rückte prompt Jan-Olaf Immel (Wallau) ins Team, obwohl für Sydney gar nicht vorgesehen, sondern zu Hause auf Abruf bereit. „Ich habe bewusst alle Konstellationen durchgespielt“, ließ Brand dazu wissen, schließlich könne auch in Sydney der Ernstfall eintreten, darauf will er vorbereitet sein.

„Auch damit müssen wir leben“, sagte Brand. Er selbst scheint hierzu nur in einem Fall weniger bereit. „Daniel Stephan ist für die Mannschaft das absolute Muss“, deutete der Bundestrainer in Straßburg an, wie sehr er die Genesung seines Spielmachers herbeisehnt, der wegen einer Prellung im Schultergelenk erst letzten Freitag zum ersten Mal wieder werfen konnte und nach wie vor die Nachwirkungen seines dreimal operierten Mittelhandbruchs spürt. „Man kann nicht erwarten, dass ich gleich wieder auf 100 Prozent komme“, sagt der Welthandballer des Jahres 1998, der gestern bei einem weiteren Testspiel in Homburg/Saar, wiederum gegen Frankreich, nach fast achtmonatiger Pause unbedingt Spielpraxis sammeln wollte und ein Tor zum 21:21 beisteuerte. „Wir brauchen Daniel mit seinen individuellen Stärken“, sagt Heiner Brand, der aber im Fall Stephan auch mit weniger als 100 Prozent zufrieden wäre. Manchmal muss man die Dinge einfach so nehmen, wie sie sind.