Aufbruch mit Rudi-Touch

Nimmt immer souverän, aber durchweg engagiert bezwingen die deutschen Fußballer im ersten Qualifikationsspiel für die WM 2002 Griechenland mit 2:0 und sammeln weitere Sympathiepunkte

aus Hamburg MATTI LIESKE

Irgendwas war anders. Und es war nicht das Ergebnis. Siege wie das 2:0 im ersten Spiel der WM-Qualifikation gegen Griechenland hatte es gegen vergleichbare Gegner auch bei Erich Ribbeck gegeben. Teilweise sogar mit überzeugenderen Leistungen. Und doch war etwas anders. Ein Hauch von Optimismus lag in der Hamburger Luft, aber es war nicht jene angestrengt-trotzige „Uns kann keiner“-Variante aus Vor-EM-Zeiten, die jeden gelungenen Spielzug als Wiederauferstehung alter Unbeugsamkeit feierte, sondern eine auf realistische Gelassenheit gegründete Hoffnung, dass vielleicht doch alles ein bisschen besser werden könnte. Nennen wir dieses neuartige Phänomen einfach mal den Rudi-Touch.

Atmosphärisch ist es eindeutig ein Gewinn, nach Jahren beleidigter Muffligkeit (Vogts) und eloquenter Ratlosigkeit (Ribbeck) nun Rudi Völler als Vorsteher des deutschen Fußballteams zu erleben und seinen Analysen zu lauschen. Beckenbauers „Viel reden, viel sagen“ folgte dereinst Bertis „Wenig reden, alles verbergen“, dann Ribbecks „Viel reden, nichts zu sagen haben“. Jetzt heißt es: „Wenig reden, das Wesentliche sagen.“ Völlers Kommentare sind knapp und prägnant, atmen die Autorität des einstigen Weltklassespielers, und selbst die gröbsten Fußballerfloskeln ist man geneigt zu verzeihen, weil er ja genau das ist, ein Fußballer. „Du wirst nur von Glück belohnt, wenn du dafür arbeitest“, bewertete er das von Mehmet Scholl vorbereitete und vom Türken Uzunidis vollendete 2:0, und einen Moment lang wirkte der Satz fast wie neu. Beinahe inbrünstig betreiben der Teamchef und seine vom Rudi-Touch beseelten Spieler Selbstkasteiung und betonen so lange die aufgetretenen Mängel, bis man geneigt ist, ihnen Mut zuzusprechen und Trost zu spenden. Obwohl keinerlei Schönrednerei betrieben wird, hat am Ende mysteriöserweise jeder das Gefühl, das Spiel sei besser gewesen, als es in Wirklichkeit war. Früher war das umgekehrt.

Dass Rudi Völler weiß, was er tut, ist zuallererst auf dem Spielfeld zu erkennen. Attraktiven, offensiven Fußball hat er versprochen, und schon seine Aufstellungen zeigen, dass es sich nicht um Lippenbekenntnisse handelt. Dreierabwehrkette, davor mit Ramelow ein Abräumer und im Mittelfeld vier wahrhafte Fußballer: Scholl, Ballack, Deisler, Bode. Wie kann das gut gehen, fragten sich viele. Es kann, wenn die Fußballer so nach hinten rackern, wie sie es in Hamburg taten. „Scholl spielt nicht nur guten Fußball, er arbeitet auch guten Fußball“, lobte Völler den Münchner stellvertretend für seine Nebenleute.

Auch wenn der Teamchef den Gegner am Ende über den grünen Klee pries, sollte jedoch nicht übersehen werden, dass das junge griechische Team wohl kaum zu den herausragenden Vertretern in dieser WM-Qualifikation gehört. Schwierigkeiten hatten die Deutschen in der jüngeren Vergangenheit vor allem mit spielerisch starken Kontrahenten, und das waren die Griechen besonders in der ersten Halbzeit keineswegs. Im Mittelfeld sprangen ihnen die Bälle meilenweit vom Fuß und je näher sie sich an ihrem Tor befanden, desto größer wurde die Panik. Sie begingen haarsträubende Fehler und die Abwehrversuche landeten oft genau auf den Füßen der nachrückenden deutschen Mittelfeldspieler.

Aufgedeckt wurden die technischen Defizite durch das emsige Attackieren seitens der Deutschen, die im Gegensatz zur EM nicht nur rannten, sondern auch wussten, wohin. Erstaunlich indes, dass der eigene Spielaufbau vor der Pause nicht über das spielerisch stark besetzte Mittelfeld lief, sondern fast ausschließlich mittels langer Bälle auf die Spitzen Jancker und Zickler. Normalerweise für jede Abwehr ein gefundenes Fressen, nur für die desorientierte griechische nicht. Logische Folge war das 1:0 durch Deisler (17.), kurz danach kam eine weitere Neuerung im deutschen Spiel zum Tragen: der Rudi-Dusel. In der 24. Minute klatschte ein Schuss von Tsartas an den Pfosten – bei Ribbeck, das darf als sicher gelten, wäre so was drin gewesen.

Dass die Griechen durchaus Fußball spielen können, zeigten sie in der zweiten Halbzeit, als der deutsche Druck im Mittelfeld nachließ. Die Zahl der gewonnenen Zweikämpfe sank rapide und die Dreierkette wurde wiederholt ausgehebelt. „Ich habe viele Lichtblicke gesehen, aber auch wieder Schatten“, sagte Völler später, das glückliche Tor zum 2:0 bewahrte sein Team jedoch vor dem drohenden Unentschieden, das zum Auftakt der WM-Qualifikation eine kleine Katastrophe dargestellt hätte. Die letzten Minuten, als die DFB-Spieler das Match schon abgehakt hatten, zeigten dann, dass man sich mit einem herausragenden Torwart im Rücken ein paar Patzer mehr erlauben kann als andere. Nach „Flüchtigkeitsfehlern“ (Völler) vereitelte Oliver Kahn die drei besten Griechen-Chancen im ganzen Match.

„Die Zeiten sind lange vorbei, dass wir Deutsche Gegner im Vorbeigehen schlagen können“, rügte der Teamchef die späte Nachlässigkeit, „nur wenn wir bis zum Schluss um jeden Ball fighten, können wir bestehen“. Die nächste Gelegenheit, dies zu üben, gibt es am 7. Oktober im Wembleystadion gegen den härtesten Gruppenrivalen England. „Wir freuen uns auf dieses Spiel“, sagt Oliver Kahn. Ein Satz, der vor den beiden Völler-induzierten Siegen gegen Spanien und Griechenland garantiert nicht gefallen wäre. Doch selbst die bärbeißigsten Monomanen im DFB-Team können sich dem Völler-Touch offenbar nicht entziehen.

Deutschland: Kahn - Rehmer, Nowotny, Heinrich (46. Linke) - Deisler, Ramelow, Ballack, Bode - Scholl, Jancker, Zickler (71. Rink)Griechenland: Eleftheropoulos - Uzunidis - Amanatidis, Gumas - Mavrogenidis (23. Patsatzoglou), Zagorakis (78. Lakis), Pursanidis (65. Chutos), Tsartas, Georgatos - Georgiadis, LymperopoulosZuschauer: 48.549; Tore: 1:0 Deisler (17.), 2:0 Uzunidis (75./Eigentor)