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: Kommentar am rechten Rand

Anfang August ließ das niedersächsische Innenministerium eine Flüchtlingsfamilie aus Duderstadt ins Kosovo abschieben. Nach Protesten des UNHCR erklärte sich das Land zwei Tage später zur Wiederaufnahme der Flüchtlinge bereit. Das Göttinger Tageblatt kritisierte jedoch nicht die zuständigen Behörden, sondern die in Göttingen ansässige „Gesellschaft für bedrohte Völker“ (GfbV). Deren Generalsekretär Tilman Zülch habe „jedes Maß verloren“ und verwende „absurde Gleichsetzungen“. Als „Beweis“ diente Zülchs Aussage: „Was nützt Berichterstattung über Verbrechen der NS-Zeit, wenn Verantwortliche heute Mördern und Vergewaltigern durch Auslieferung von politischen Flüchtlingen in die Hände arbeiten.“

Das Göttinger Tageblatt keilte aber auch gegen die Flüchtlinge selbst: Sie hätten schließlich ein „saftiges Straftatenregister“ und könnten daher keinen Schutz vor Verfolgung verlangen. Dabei dürfen gefährdete Minderheiten selbst bei Straffälligkeit nicht abgeschoben werden – schließlich gelten Folter und Tod nicht als angemessene Strafe für Ladendiebstahl.

Als Grundlage für rechtsradikales Gedankengut diente wenige Tage nach dem Erscheinen vielmehr der besagte Kommentar selbst, und zwar im wörtlichen Sinne: Auf den rechten Rand neben dem Zeitungstext kritzelte ein anonymer Schreiber seine Hassparolen gegen den GfbV-Generalsekretär. „Zülch du volksschädliche Wanze, für dich und deine Gesinnungsgenossen sollten Gasöfen wieder in Betrieb genommen werden“, lautete die Nachricht, die durch ein Fenster in die GfbV-Geschäftsstelle geworfen wurde. Die Menschenrechtsorganisation hat nun nicht nur Anzeige gegen unbekannt wegen Volksverhetzung gestellt, sondern auch vom Tageblatt eine Entschuldigung für den Kommentar verlangt. Der stellvertretende Chefredakteur des Göttinger Tageblattes will sich zum Fall derzeit nicht äußern, sondern „abwarten, wie sich die Dinge weiter entwickeln“. MALTE KREUTZFELDT