Willkommen im Streichelzoo

„Geschwindigkeit ist auch nur der Abstand zwischen mir und der Wand“: Auf der Konferenz Berlin Beta 3.0 verabschiedeten sich die Akteure des Neuen Marktes zögerlich von Idealen und Illusionen

von KOLJA MENSING

Zumindest in Kalifornien haben die Mitarbeiter der Dotcoms inzwischen ein schlechtes Standing. Nachdem in den letzten Jahren insgesamt 80 000 New-Economy-Mitarbeiter nach San Francisco gekommen sind, haben sich die Mieten für Zwei- oder Dreizimmerwohnungen verdoppelt bis verdreifacht.

Jetzt formiert sich Widerstand. Das „Mission Yuppie Eradication Project“ ruft in San Francisco dazu auf, die Autos der jungen Unternehmer zu zerstören, die Kampagne „Blowthedotoutyourass“ plakatiert in der Stadt, und im benachbarten Los Angeles beklagen sich derweil die Filmstars darüber, dass die Internet-Millionäre ihnen die Villen vor der Nase wegkaufen. „Dot-Commers go home“: Nach den ersten Kurseinbrüchen am Neuen Markt folgt nun die Krise in der öffentlichen Wahrnehmung.

In Deutschland dagegen entdeckt man gerade erst die menschliche Seite des Neuen Marktes. Über die Jungunternehmer wisse man meist nicht mehr, als dass sie mit Geldverdienen beschäftigt sind, bedauert die Frauenzeitschrift Petra, und verweist in ihrer aktuellen Ausgabe auf die Konferenz Berlin Beta 3.0, „auf der man die viel beschriebene Dotcom-Generation kennen lernen“ könne. Der Neue Markt als Streichelzoo?

Vor drei Jahren hatte Berlin Beta – „Version 1.0“ – im Kongresszentrum am Alexanderplatz die New Economy noch als Event im erweiterten Clubkontext präsentiert: In einer Mischung aus Partys und Panels sollte sich der Kapitalismus der späten 90er-Jahre als tanzbar erweisen, zwischen einer Nacht am Businessplan und einer Nacht im Club wurden keine großen Unterschiede gemacht.

Im Jahr 2000 sieht das anders aus. Die Goldgräberstimmung am Neuen Markt ist vorbei, man hat sich von der Tanzfläche zu ernsten Gesprächen in die Lounge zurückgezogen, und die Konferenz Berlin Beta hat sich von Ostberlin verabschiedet: Sie ist in das Haus der Kulturen der Welt gezogen, das am Inneren Spreebogen gleich neben der Baustelle des Kanzleramts liegt.

Mit dem Umzug an die Schnittstelle zwischen altem Westen und Neuer Mitte ist auf den Panels Ernüchterung eingekehrt. Bei Berlin Beta – der Name sollte einst eine gewisse dauerhafte Vorläufigkeit ausdrücken – verabschiedete man sich in diesem Jahr endgültig von ein paar Idealen bzw. Illusionen: Geschwindigkeit werde als Währung des Neuen Marktes überbewertet – „Speed ist auch immer nur die Entfernung zwischen mir und der Wand“ –, die Risikokapitalgeber investieren durchaus auch mal Summen unterhalb der 30-Millionen-Dollar-Grenze in die jungen Unternehmen – und die Zusammenarbeit mit Großkonzernen geht auch okay.

Die New Economy sollte eigentlich eine neue Unternehmenskultur etablieren, erinnert sich der Leiter einer Marketingagentur, tatsächlich gehe es aber härter und unfairer zu als innerhalb der Old Economy – und der Manager einer größeren Multimediaagentur erklärt, seine Firma arbeite nur zu einem gewissen Prozentsatz mit Start-ups. Das finanzielle Risiko sei schlicht zu groß, genau wie der Aufwand: „Die rufen dich auch noch mitten in der Nacht an und wollen einen Business-Rat.“

Nach den Erfolgsgeschichten, die man während der ersten Berlin-Beta-Konferenz noch auf jedem Panel zu hören bekam, wären jetzt die ersten Geschichten vom Scheitern zu erzählen. Aber auch diese Storys fügen sich, wie sich bereits gezeigt hat, den Bedingungen des Marktes: Das Wort „Scheitern“ ist im Zusammenhang mit dem Neuen Markt so tabubelastet, dass Nicholas J. Hall mit seiner erst vier Monate alten Webcommunity – startupfailures.com – umgehend Erfolg hatte.

Hall spricht in Berlin dann auch lieber über „success“ als über „failure“ und provozierte das Auditorium mit Thesen über einen gesunden Lebenswandel: Immer schön gesund essen, die Freizeit nicht vernachlässigen und sich selbst Grenzen setzen, darauf komme es in der Welt der Start-ups an, erklärt Hall: Er habe allein im Juni vier Wochenendausflüge mit seiner Frau unternommen!

Das höre sich doch alles zu sehr nach Selbsthilfegruppe an, kommentiert ein Zuhörer die Ausführungen von Nicholas J. Hall. Denn auch wenn es in der Recruiting Area am Rande von Berlin Beta Obstteller statt kalorienhaltigen Snacks gibt und die böse Kaffeemaschine ganz in der hinteren Ecke versteckt ist: Die neue alte Bürgerlichkeit mit kontrollierter Nahrungsaufnahme, festen Arbeitszeiten und einem ordentlichen Jahresurlaub kommt bei den deutschen Start-ups bisher nur zögerlich an. Man erfreut sich lieber weiterhin an den krisenfesten und in Amerika selbstverständlich verachteten Insignien der eigenen Wirtschaftsmacht: Man tippt seine Notizen direkt in den Palmtop, freut sich an jedem Handyklingeln – „Telefon!“ – und legt mit kindlichem Ernst sein Kickboard unter einem der Stühle im Konferenzsaal ab. Alles Weitere demnächst auf den Lifestyle-Seiten von Petra und Brigitte.