„Noch viel zu bürokratisch“

Karl Kaiser, der Otto-Wolff-Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, über den Botschafter im Zeitalter des Internets und die Umstrukturierung des Auswärtigen Amtes

taz: Heute kommt es zum größten Treffen der deutschen Botschafter in Berlin seit Gründung des Auswärtigen Amtes 1870. Hat sich der Botschafter in Zeiten des Internets nicht überlebt?

Karl Kaiser: Auf keinen Fall. Der Botschafter hat einen großen Vorteil, den auch das Internet nicht wettmachen kann. Er hält Kontakt zu den Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens im Gastland, er kann insbesondere in Krisen – denken Sie an die Entführung auf den Philippinen – die Haltung seiner Regierung erklären und im Gegenzug Einschätzungen nach Berlin geben.

Was müsste den Botschafter des 21. Jahrhunderts auszeichnen?

Wir stehen da vor einem grundlegenden Wandel. Die klassische Rolle des Botschafters war die, seine Regierung vor der des Gastlandes zu vertreten. Heute aber haben Sie in den ausdifferenzierten Gesellschaften eine Reihe von Akteuren, die das politische Handeln ebenfalls entscheidend beeinflussen – die Medien, die Nichtregierungsorganisationen, die Kulturinstitutionen.

Sollte der Botschafter von morgen also die Qualitäten eines Talkshow-Gastes mitbringen?

Nicht mitbringen, aber er sollte sie erlernen. Im Grunde gilt noch das alte Selbstbild, wonach ein Diplomat nach außen stets Zurückhaltung üben muss. Heute dagegen wird er mehr und mehr zur Person der Öffentlichkeit.

Ist das Auswärtige Amt darauf vorbereitet?

Nur bedingt. In der Ausbildung geht es noch zu sehr um rechtliche Kenntnisse und Landeskunde. Weniger gelehrt werden öffentliches Marketing, Selbstdarstellung und scheinbar profane Dinge wie das Management einer Botschaft unter den Bedingungen des Internet-zeitalters. Da bleibt viel zu tun.

Was ändert sich durch das Internet?

Die weltweite Vernetzung schafft völlig neue Arbeitsmöglichkeiten. Nehmen wir einmal an, ein Fachreferent der deutschen Botschaft in Washington hat ein bestimmtes Vorhaben. Dann fragt er über Internet die Fachreferenten in Berlin und in anderen Botschaften. Auf diesem Wege wird Fachwissen gebündelt und relativ zügig umgesetzt.

Wie ist das heute?

Häufig noch viel zu bürokratisch. Da kommt eine Anfrage nach Berlin, wird nach oben durchgestellt, sickert durch den Mittelbau und gelangt dann irgendwann zum Fachreferenten. Solche komplizierten Wege sind, gerade in Krisensituationen, überholt. Zumal alle anderen – Nichtregierungsorganisationen, Medien – ebenfalls mit dem Internet arbeiten und schnell reagieren. Da kann das Auswärtige Amt nicht hintenan stehen.

Der Euro kommt 2002, die EU soll verstärkt zusammenwachsen. Müssten da nicht die nationalen Botschaften abgeschafft und durch EU-Repräsentanzen ersetzt werden?

Für den Raum außerhalb der EU würde das nur Sinn machen, wenn wir eine einheitliche EU-Außenpolitik mit einem EU-Außenminister hätten. Das aber ist noch Zukunftsmusik.

Interview: SEVERIN WEILAND