Abgründiger Humanist

■ Die Vorschau: Ein Buch von und über den Dichter und Pädagogen Wilhelm Scharrelmann wird heute vorgestellt

Es lohnt sich in den von Herausgeber Johann-Günter König herausgegebenen Textkorpus über Wilhelm Scharrelmann hineinzuschauen. Möglich, dass es sich bei diesem 1875 in Bremen geborenen Dichter nicht um die schillernste Persönlichkeit des kulturellen Lebens der Hansestadt in der ersten Jahrhunderthälfte handelte, aber zumindest um eine äußerst interessante.

Scharrelmann war Dichter, Reformpädagoge, Kirchenkritiker und Kriegsgegner, antimoderner Humanist und unpolitischer Querdenker – und er war ein Freund. Und zwar jenen DichterkollegInnen, deren er sich in gut dreißig sehr unterschiedlichen biografisch-literarischen Skizzen erinnert. Das Textkonvolut mit dem merkwürdigen Titel „Antlitz der Freundschaft“ entstand in den Jahren 1924 bis 1942.

Scharrelmann wurde vergessen, allenfalls seine Bücher über Kindheit und Jugend in Bremen vor der Jahrhundertwende tauchten ab und an im hiesigen Schulunterricht wieder auf. Wichtig sei, sagt Herausgeber König, „dass man sozusagen auch mal in die Josephsromane schaut“. Kein bescheidener Vergleich. Doch zumindest in einem Punkt scheint Scharrelmann dem Erfinder der „Buddenbrocks“ zu entsprechen. Es ist die Arbeit, zurückgezogen an den Schreibtisch, empfindlich gegenüber Störungen. Und dann doch wieder liebevoll und intensiv in der Auseinandersetzung mit den Figuren.

In diesem Fall sind es echte Menschen, derer sich Scharrelmann annimmt. Es gehe ihm weniger um literarische Betrachtungen. Er wolle „vielmehr versuchen, zu dem inneren Wesen der Dichter vorzudringen, von denen hier die Rede sein soll, und so auch einen Schlüssel zum Verständnis ihrer Werke geben“. Viele dieser Dichter wie August Hinrichs, Alma Rogge oder Manfred Hausmann gehörten zum Kreis oder Umfeld der „Kogge“, einem in den früher 20ern gegründeten norddeutschen Dichterbund. Was dessen Mitglieder verband, liest sich in Scharrelmanns Worten so: Es „war der Wille, aus dem Erlebnis der Heimat die Kraft zur Gestaltung auch noch der letzten und höchsten Aufgaben zu gewinnen, die sich der Einzelne nach der Art und Flügelweite seiner Begabung stellen mochte“.

Sieht man einmal davon ab, dass solches Pathos seinerzeit weitaus gängiger waren als heute, bleibt doch bei Begriffen wie Kraft oder Heimat ein äußerst schaler Nachgeschmack. Nicht zufällig ist es die Auslegung solcher Begrifflichkeiten, die Bruchstellen markiert, Punkte, an denen die Art und Weise, wie das freundschaftliche Zugetansein des Humanisten Scharrelmann auf die Probe gestellt wird. Scharrelmann gehört laut König zu jenen „nichtfaschistischen Autoren, die nicht nur im, sondern auch auf dem Lande geblieben sind“. Im Moment, da es daran ging, sich den nationalsozialistischen Gegebenheiten zu stellen, zieht sich der Dichter aufs Worpsweder Land zurück. Eine Geste der Heimatverbundenheit, des Antimodernismus, die so gar nicht zu Scharrelmanns Engagement als religiöser Kritiker der Institution Kirche oder auch als Verfechter fortschrittlicher Reformkonzepte passen will.

König sagt, er tue sich schwer damit, die Vielzahl von Widersprüchlichkeiten zu verstehen. „Ich kann das nur montieren“. So wird das Vorwort zum Rekonstruktionsversuch einer Biografie, der gerade darum glückt, weil König an den Stellen, da das unmittelbare Verstehen schwer fällt, innehält. Nicht um etwas zu verschweigen, sondern um Fragen aufscheinen zu lassen nach Scharrelmanns Verständnis von Freundschaft zu Leuten wie Blunck, „Kogge“-Mitglied und bald nach 1933 Leiter der Reichsschrifttumskammer, oder zu seinem Bruder Heinrich, den die gemeinsame Arbeit an pädagogischen Konzepten – Wilhelm Scharrelmann quasi entgegengesetzt – zum „NS-Fachberater für das Volksschulwesen“ macht? Fragen über Fragen. Diese erst einmal auf den Tisch zu bringen ist ein Verdienst dieses Buches. Wie nötig das sein kann, hat das Strohfeuer um eine kritische Lesart Manfred Hausmanns im letzten Jahr ja gezeigt. Tim Schomacker

„Wilhelm Scharrelmann: Antlitz der Freundschaft“ erscheint dieser Tage im Bremer Donat Verlag und wird heute um 19.30 Uhr im Kaminsaal des Rathauses vorgestellt