„Verunsicherung in verantwortungsloser Art“

Friedbert Pflüger (CDU), Vorsitzender des Europa-Ausschusses im Bundestag, nennt Verheugens Äußerung zu Volksentscheiden „unsinnig“

taz: Herr Pflüger, warum sind Sie gegen den Vorschlag des EU-Kommissars Günter Verheugen, ein Referendum über die Aufnahme neuer EU-Mitglieder durchzuführen?

Friedbert Pflüger: Deutschland hat sich nach den schlimmen Erfahrungen der Weimarer Republik bewusst dagegen entschieden, auf Bundesebene Volksentscheide durchzuführen.

Trotzdem ist das Grundgesetz auch in diesem Falle reformierbar.

Selbstverständlich kann man darüber diskutieren, ob plebiszitäre Elemente gestärkt werden. Nur: Wenn wir uns grundsätzlich für Volksabstimmungen im Grundgesetz aussprechen, dann müssen wir auch die negativen Folgen in Kauf nehmen.

Konkret?

Dann wird es womöglich Abstimmungen über die Todesstrafe oder die Höhe der Zahl der Asylbewerber in Deutschland geben.

Vergleichen Sie nicht Äpfel mit Birnen?

Keineswegs. Man kann nicht Volksabstimmungen nur für bestimmte Bereiche verlangen. Weil das Thema nun mal so komplex ist, kann man auch nicht, wie Herr Verheugen das tut, einfach mal einen Vorschlag in den Raum werfen.

In Dänemark wird am 28. September über den Beitritt zur Euro-Zone in einem Volksentscheid entschieden.

Andere Länder haben andere Traditionen, die gewachsen sind. Ich glaube aber, dass weder in Dänemark noch in Deutschland solche Entscheidungen wie die EU-Erweiterung oder die Einführung des Euro auf einen Punkt gebracht werden können. Dazu eignet sich das Instrument der Volksabstimmung nicht. Hier sind immer differenzierte Lösungen gefragt.

Haben Sie Angst, dass eine Volksabstimmung eine EU-feindliche Stimmung verstärkt?

Ich habe keine Angst davor. Das Projekt der EU-Erweiterung ist mehrheitsfähig in unserem Land.

In einer von der EU in Auftrag gegebenen neuen Studie heißt es, nur 20 Prozent der Deutschen hielten die EU-Erweiterung für vordringlich.

Natürlich gibt es Bedenken und Sorgen, etwa beim Handwerk und in der Landwirtschaft. Die muss man auch ernst nehmen. Nur bin ich der Überzeugung, dass es kein Zukunftsprojekt gibt, das mehr im Interesse der Deutschen ist als dieses. Die EU-Erweiterung ist ein Beitrag für Frieden und Stabilität. Alles andere hieße, die bestehenden Wohlstandsgrenzen für die Zukunft zu zementieren. Unruhen, möglicherweise neue ethnische Konflikte wären die Folge.

Zurück zu Herrn Verheugen. Hat er nur einen Testballon steigen lassen?

Leider drängt sich dieser Verdacht auf. Zumal man nicht weiß, ob hinter ihm der Kanzler steht. Mit seiner Äußerung trägt Herr Verheugen auf jeden Fall in verantwortungsloser Art und Weise Verunsicherung in die osteuropäischen Länder hinein. Ich verstehe ihn wirklich nicht. Er ist ja nicht irgendwer, sondern er ist der Kommissar, der für die EU-Erweiterung zuständig ist. Mit seiner Forderung schafft er sich doch selbst erhebliche Probleme. Unvorstellbar, dass ein so kluger und abwägender Mann wie Verheugen sein eigenes Projekt unterminiert.

Ich kann nur hoffen, dass ihm da – wie allen von uns manchmal – ein schwerer Fehler unterlaufen ist. Den sollte er schleunigst korregieren.

Außenminister Joschka Fischer hat Verheugen eine Absage erteilt.

Fischers Äußerung kann ich nur unterstützen. Trotzdem bleibt leider der Verdacht bestehen, dass Deutschland als Motor bei der EU-Erweiterung einen Gang niedriger schaltet. Die Äußerung Verheugens steht ja nicht allein. Es gibt ein Gemisch, das uns keine Freunde im Ausland macht.

Das aus welchen Elementen besteht?

Da ist nicht nur solch eine unsinige Äußerung wie die von Herrn Verheugen, da ist vor allem das ständige Gezerre um die Beitrittsdaten. Was wir endlich und schleunigst brauchen, und zwar schon Anfang 2001, ist ein klarer Fahrplan.

INTERVIEW: SEVERIN WEILAND