Tag des öffentlichen Abrissdenkens

Pünktlich zum Tag des offenen Denkmals schlägt sich Senatsbaudirektor Hans Stimmann auf die Seite von Antje Vollmer, die die Industriebauten der Gründerzeit am liebsten weg hätte. Landeskonservator Jörg Haspel widerspricht dem energisch

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Die großen alten Industriedenkmäler der Stadt sind in ihrer weiteren Existenz gefährdet. Nach Ansicht von Senatsbaudirektor Hans Stimmann (SPD) sollen für leer stehende Produktionsanlagen des 19. und 20. Jahrhunderts andere Kriterien für den Erhalt und die Unterschutzstellung gelten als für ausgewiesene Werke der Baukunst. Wenn nach Ablauf einer mehrjährigen Frist kein Nutzer für die Denkmäler gefunden wird, soll der Denkmalschutz aufgehoben und das Bauwerk auf den Index kommen.

Der Baudirektor unterstützt damit die Meinung der Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne). Diese hatte gefordert, den Denkmalschutz für die großen Industriekathedralen und Bauten der Nazizeit in den östlichen Bundesländern aufzuheben, wenn keine Investoren für die Bauten aktiviert werden können. Explizit stellte Vollmer den Erhalt der Industriebauten in Vockerode sowie der Industriedenkmäler in Berlin-Oberschöneweide infrage.

Bei einem Rundgang über das denkmalgeschützte Industrie-Ensemble in Oberschöneweide wandte sich Stimmann gestern gegen die Gleichbehandlung der für Berlin einmaligen Industrie-Architekturen mit anderen Baudenkmälern. Die Bedeutung der Gebäude, so der Baudirektor, könne nicht „mit einer gotischen Kirche“ oder einem „unter Schutz stehenden Wohnhaus“ verglichen werden. Während dort ein Eigentümer oder das öffentliche Interesse Erhalt und Denkmalschutz rechtfertigte, müsse man bei den großen Industriebauwerken des 19. und 20. Jahrhunderts in der Frage des Erhalts „differenzierter vorgehen“. Ohne Sanierungs- und Nutzungskonzept sei der Schutz der Bauwerke „schwierig“, sagte Stimmann.

Die Aussage des Senatsbaudirektors ist umso gewichtiger, findet sie doch nicht nur drei Tage vor dem europaweiten „Tag des offenen Denkmals 2000“ statt. Zugleich erscheint sie als Affront gegen das Industrie-Areal in Oberschöneweide. Entlang der Spree entstand seit dem Ende des 19. Jahrhunderts im Auftrag der AEG ein kilometerlanges Industrieensemble mit Produktionshallen und Bürobauten des Architekten Peter Behrens, der den Standort weltberühmt machte. Nach dem Fall der Mauer verlor die „verlängerte Werkbank Berlins“ die Funktion als Industriegürtel und wurde bis dato zum Teil saniert für neue Gewerbeansiedlungen.

Trotzdem ist es dem Land nicht gelungen, den Leerstand vieler Gebäude einzudämmen, da das vom Senat beschlossene „Industrieflächensicherungsprogramm“ dort produktionsnahe und gewerbliche Nutzungen vorschreibt. Derzeit stehen noch rund 60 Prozent der Flächen in Oberschöneweide leer. Laut Stimmann soll jetzt die geplante Ansiedlung der Fachhochschule (FHTW) als „belebender Impuls“ dem Areal zu neuem Aufschwung verhelfen.

Landeskonservator Jörg Haspel übte gestern Kritik sowohl an der Aussagen Stimmanns und Vollmers als auch an der Industrieflächenpolitik des Senats. Die „schwierige Situation der Industriedenkmäler“ sollte nicht durch „geschmäcklerische“ Positionen belastet werden, so Haspel. Gerade die Berliner Industrie-Architektur müsse wegen ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Stadt zu einer modernen Metropole nach der Gründerzeit erhalten und geschützt werden.

Haspel kritisierte auch die Strategie des Landes, die Industriestandorte als Vorhalteflächen für produktionsnahe Nutzungen zu reservieren und gleichzeitig die innerstädtische Firmen-Ansiedlungspolitik zu forcieren. Statt dessen hätte viel früher damit begonnen werden sollen, die Standorte für Freizeitangebote oder wissenschaftliche Einrichtungen zu öffnen.