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: Claude Chabrol und das wahre Böse sind ein schönes, lustiges Paar

70 Minuten Schwarzfilm

Vielleicht haben die Alten ja tatsächlich den meisten Schneid. Jedenfalls dreht kein Mensch auf der Welt exzentrischere Filme als Joao César Monteiro, den man wohl am ehesten als den portugiesischen Achternbusch bezeichnen könnte. In seinem Film „A Comedia des deus“ spielte er vor ein paar Jahren einen hingebungsvollen Sammler weiblicher Schamhaare. Wobei jedes einzelne Härchen liebevoll katalogisiert und in ein Fotoalbum eingeklebt wird.

Monteiros neuer Film „Branca de Neve“ („Schneewittchen“ übernimmt haargenau den Text von Robert Walsers gleichnamigem Theaterstück, in dem das Märchen der Brüder Grimm fröhlich auseinander genommen wird, wenn Schneewittchen und der Prinz ausgiebig diskutieren, ob das mit dem Küssen und Wecken überhaupt so richtig ist. Ansonsten besteht „Branca de Neve“ aus circa 70 Minuten Schwarzbild und einigen Sekunden eines hin und wieder eingeblendetem Wolkenhimmels. Recht erholsam, einfach nur auf die schwarze Leinwand zu starren und den Walser-Text zu hören, der auf Portugiesisch natürlich unendlich lyrisch wirkt. Zudem werden die Bilder zur Abwechslung mal nicht durch die italienischen oder englischen Untertitelkolonnen zerstört. Am Schluss ist Monteiro sogar ganz kurz selbst zu sehen: ein listig dreinblickendes hageres altes Männchen, das die Lippen zu einem „Ende“ formt.

Noch ein listiger alter Mann, vielleicht der listigste von allen, leistet sich den Luxus, eines Films, der nicht so recht weiß, wovon er handelt und worauf er hinauswill. Dafür hat er eine Hauptdarstellerin, die immer dafür sorgt, dass der Laden läuft. In Claude Chabrols „Merci pour le chocolat“ spielt Isabelle Huppert eine Schokoladenfabrikantin in der französischen Schweiz, die unter der Oberfläche bürgerlicher Liebenswürdigkeit perversen Hobbys frönt. Ausgerechnet die Trinkschokolade, Inbegriff schweizerischen Wohlgenährtseins, wird hier zum perfiden Mittel der Manipulation. Wenn die Huppert in teuren madamigen Kostümchen zuvorkommend durchs Bild trippelt, mit liebenswürdigen Küsschen Gäste empfängt und überhaupt das freundlichste Wesen der Welt zu sein scheint, steht man tatsächlich kurz davor, an den Zeichen von Gut und Böse zu zweifeln. Zumal wenn das hilfsbereite Wesen seine Mitmenschen permanent mit Schlafmittel sediert, um mit ihnen Dinge anzustellen, die man leider nie erfahren wird.

Bei der Pressekonferenz in Venedig berief sich Claude Chabrol übrigens auf den italienischen Kriminologen Cesare Lombroso, der delinquentes Verhalten mit einer typischen, vorzugsweise hässlichen Täterphysiognomie verband. „Lombroso hatte allerdings Unrecht“, so Chabrol, „denn die schlechtesten Menschen sehen eigentlich elegant und liebenswert aus.“ Und mit einem Seitenblick zu seiner Nachbarin: „Das wahre Böse sieht aus wie Isabelle Huppert.“

Beim Fotocall wirkten Chabrol und das wahre Böse wie ein symbiotisches Paar, flachsten, machten Faxen und bewahrten selbst in dieser verkrampft-offiziellen Situation die Komplizenschaft zweier alter Kumpels. Sieht man, wie Huppert den kurzsichtigen alten Herrn auf eine Stufe aufmerksam macht, dann könnte es auch das Verhältnis zwischen Vater und verzogener Lieblingstochter sein.

Sechs Filme haben die beiden im Laufe der Jahre zusammen gedreht, in denen Huppert unter anderem ihre Eltern umbrachte („Violette Nozière“), sich als Engelmacherin betätigte („Eine Frauensache“) und eine ganze bürgerliche Familie niedermähte („Die Zeremonie“). Chabrols Schlusskommentar: „Fotografiert mich noch mal schön vorteilhaft, Kinder, falls mich Isabelle beim Mittagessen vergiftet.“ Und Huppert abwinkend: „Alles nur Koketterie. Wenn Claude Chabrol überhaupt jemals stirbt, dann erstickt er an einem Schluck Bordeaux, einer Eisbombe oder einem Stückchen Rinderfilet.“ KATJA NICODEMUS