Heikle Partnerschaft

Unter Verweis auf angeblich erbrachte Leistungen der Privatwirtschaft begann die Clinton-Regierung, ihre ausstehenden Pflichtbeiträge an die UNO in Frage zu stellen

von ANDREAS ZUMACH

Im New Yorker UNO-Hauptquartier beginnt heute der dreitägige „Millenniumsgipfel“ mit Reden von 152 Staats-und Regierungschefs zur Rolle und Aufgaben der Weltorganisation im 21. Jahrhundert. Die bei den Vereinten Nationen akkreditierten Nichtregierungsorganisationen (NRO), von Generalsekretär Kofi Annan häufig als wichtiger, für die Umsetzung der UNO-Programme unerlässlicher Teil der Zivilgesellschaft gepriesen, bleiben von der Gipfelveranstaltung ausgesperrt.

Sie veranstalteten stattdessen am Dienstag im Rathaus von Manhattan ein „Internationales Forum zur Globalisierung“. Beherrschendes Thema war die zunehmende Kooperation der UNO mit privaten Sponsoren und Großkonzernen, die Annan und die Direktoren einiger UN-Sonderorganisationen seit Ende der Neunzigerjahre zum Programm erklärt haben: unter Verweis auf veränderte Rahmenbedingungen der Weltorganisation im Zeitalter der Globalisierung, ihre extrem angespannte Finanzlage sowie auf die Verantwortung der Privatwirtschaft für die Umsetzung von internationalen Menschenrechts-, Arbeits- und Umweltnormen.

NRO aus Nord und Süd, aber auch die Regierungen Indiens, Malaysias und anderer Staaten des Südens fürchten, die UNO gerate durch diese Kooperation in eine gefährliche finanzielle, politische und für die Öffentlichkeit nicht mehr transparente Abhängigkeit von privatwirtschaftlichen Interessen.

Der Anfang dieser Entwicklung schien harmlos, die Motive der Spender waren ehrenwert. Im September 1997 stiftete CNN-Gründer Ted Turner der durch US-Zahlungsverweigerung und zahlreiche kostspielige Peacekeeping-Missionen arg strapazierten UNO-Kasse die Zinsen, die sein Privatvermögen in den neun Vormonaten erbracht hatten: eine Milliarde Dollar, zur freien Verfügung gestellt für die Finanzierung (überlebens-)wichtiger Aufgaben der Weltorganisation im humanitären, Umwelt-, Gesundheits- und Friedensbereich.

Die ganze Welt klatschte Beifall. Microsoft-Chef Bill Gates und andere Großverdiener gerieten unter Erwartungdruck, Turners Beispiel zu folgen. Zwei Wochen später spendete Martina Hingis, Schweizer Weltranglistenerste im Frauentennis und schon damals bereits mehrfache Millionärin, nach einem Turniersieg in New York ihre Siegprämie von 75.000 US-Dollar an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Dank dieser großzügigen Spende könne ein dringend notwendiges Polio-Impfprogramm in Äthopien jetzt durchgeführt werden, ließ die Genfer WHO-Zentrale am nächsten Tag verlauten.

Bei aller Wertschätzung für die honorigen Motive der Spender Turner und Hingis wurden schon vor drei Jahren vereinzelt kritische Fragen und Bedenken laut. Was wäre aus dem Impfprogramm in Äthopien geworden, wenn Hingis das Tennisturnier nicht gewonnen oder ihre 75.000 Dollar für sich behalten hätte? Phyllis Bennis, UNO-Expertin beim renommierten Institut für Politikstudien in Washington und eine der Hauptrednerinnen beim gestrigen NRO-Forum in Manhattan, warnte damals vor einer „gefährlichen Entwicklung“: Die „Durchführung der von den UNO-Mitgliedsstaaten beschlossenen Programme der Weltorganisation“ erfordere „Vorausplanung und eine verlässliche, transparente und öffentlich kontrollierte Finanzierung durch die Mitgliedsstaaten.

Spontane, möglicherweise zweckgebundene oder gar an politische Auflagen gebundene Spenden von Einzelpersonen oder von Unternehmen“, so Bennis, seien „kein aktzeptabler Ersatz für die Verantwortung der Mitgliedsstaaten, die Arbeit der UNO durch vollständige und rechtzeitige Zahlung ihrer Pflichtbeiträge und darüber hinaus durch freiwilige Zuschüsse zu finanzieren“.

Bennis sieht sich inzwischen in ihren Befürchtungen bestätigt. US-Präsident Bill Clinton erklärte kurz nach dem Milliardengeschenk des CNN-Gründers im September 97 vor der UNO-Generalversammlung: „Die Turner-Spende unterstreicht das Potential für eine Partnerschaft zwischen der UNO und dem Privatsektor. Ich hoffe, es werden noch viele seinem Beispiel folgen.“

Zugleich begann die Clinton-Regierung, rund 40 Prozent ihrer damals ausstehenden Pflichtbeiträge an die UNO in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar grundsätzlich in Frage zu stellen: unter Verweis auf angeblich erbrachte Leistungen von US-Privatunternehmen (u. a. für Peacekeeping-Operationen).

Aber auch der von Washington grundsätzliche anerkannte Teil der Altschulden wurde bis heute nicht beglichen. Im Juli dieses Jahres standen die USA immer noch mit 1,6 Milliarden US-Dollar bei der UNO-Kasse in der Kreide. Generalsekretär Annan konnte die in den letzten drei Jahren mehrfach drohende Zahlungsunfähigkeit nur durch massive Einsparungen und Personalkürzungen verhindern.

Mit seinem Vorschlag zu einem „Globalen Vertrag“ zwischen UNO und der Privatwirtschaft (siehe Kasten) machte Annan beim Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar 1999 die von Clinton propagierte Partnerschaft zum offiziellen Programm der UNO: Die beteiligten Unternehmen versprechen die Umsetzung zentraler Menschenrechts-, Arbeits- und Umweltnormen in ihrem Bereich. Im Gegenzug überlässt die UNO ihnen ihr Symbol für Werbezwecke und setzt sich für die weitere Liberalisierung des Welthandels ein.

Der Pakt enthält keinen Durchsetzungsmechanismus. Der Leiter des Bonner UNO-Büros, Axel Wüstenhagen, erklärte in Reaktion auf Kritik an dem Pakt jedoch: „Die Unternehmen sind verpflichtet, einmal jährlich öffentlich – auf der Internetseite der UNO – die konkreten Schritte darzustellen, die sie unternommen haben, um den Grundsätzen des Paktes zum Durchbruch zu verhelfen.“ Dahinter stehe die Idee, „gute Praktiken“ aufzuzeigen und zu verbreiten.

Bereits vor Annan hatte 1998 der damalige US-amerikanische Direktor des UNO-Entwicklungsprogramms (UNDP), Gustav Speth, ein ähnliches „Partnerschaftsprojekt“ entwickelt bis hin zu konkreten Vorverträgen mit mehreren multinationalen Konzernen. Bei diesem Projekt sollten die beteiligten Unternehmen ohne weitere Verpflichtungen für das Recht auf Verwendung des UNDP-Symbols 50.000 US-Dollar zahlen. Unterschrieben hatten den Vorvertrag bereits zahlreiche Konzerne, deren Praktiken zum Teil in klarem Widerspruch zu internationalen Umwelt-, Menschenrechts- und Arbeitsnormen stehen, darunter der Chemiekonzern Dow Chemicals oder das Minenunternehmen Rio Tinto.

Nach massivem Protest von NROs wurde dieses UNDP-Partnerschaftsprojekt im Frühsommer letzten Jahres zwar zunächst gestoppt. Doch der seitdem amtierende neue britische Direktor Mark Malloch Brown, der direkt von einem hohen Posten bei der Weltbank zum UNDP wechselte, vertritt inzwischen einen viel weitergehenden Partnerschaftskurs als sein Vorgänger. „Jeder muss heute anerkennen, dass die Hauptquelle für Entwicklungsfinanzierung die nationale und die globale Privatwirtschaft ist“, erklärte Brown letzte Woche in einem Interview.

UNDP-Projekte werden inzwischen immer häufiger ganz oder teilweise direkt von Privatunternehmen finanziert. Jüngstes Beispiel ist die 500.000-Dollar-Spende des Ölmultis Chevron für ein UNDP-Ausbildungszentrum für junge Unternehmer in Kasachstan. Chevron ist bereits seit einigen Jahren an der Erschließung der Erdölquellen in Kasachstan beteiligt.

Bei der UNO-Organisation für Erziehung und Kultur (Unesco) in Paris ist die Partnerschaft mit der Privatwirtschaft schon seit vielen Jahren gängige Praxis. Der Unesco-Kindergipfel wurde mehrere Jahre lang von Disneyland finanziert und fand auch auf dem Pariser Gelände der Mickey-Mäuse statt.

Einmals jährlich verleiht die Unesco einen Preis für WissenschaftlerInnen mit herausragenden Leistungen. Sponsor ist der Kosmetikkonzern Rubinstein (L’Oréal und andere Marken). Der vor einem Jahr mit Hoechst fusionierte Chemiemulti Rhone-Poulenc finanziert neuerdings einen „pädagogischen Kitt“ der Unesco für Schulen, bei dem es um die Rettung von Kulturgütern geht. Über die von Ted Turner vor drei Jahren ursprünglich „zur freien Verwendung“ gestiftete Dollarmilliarde hat die UNO auch keine Kontrolle.

Das Geld für Projekte vergibt eine von Turner und seiner Frau Jane Fonda eingerichtete Stiftung, bei dessen Stiftungsrat die UNO und ihre Unterorganisationen lediglich Projektanträge einreichen können.

1998 bewilligte die Stiftung 1,2 Millionen Dollar für ein Projekt der UNO-Organisation für handel und Entwicklung (UNCZAD). Ziel des Projektes ist die Schaffung von Märkten für den Handel mit „Greenhouse“-Emissionen, bei dem reiche Staaten des Nordens ihre in der UNO-Klimakonvention eingegangen Verpflichtungen zum Klimaschutz an ärmere Länder des Südens verkaufen können, statt sie im eigenen Lande zu erfüllen. Dieser Handel mit „Greenhouse“-Emissionen wird von Umweltorganisationen in Nord und Süd heftig kritisiert. Diese Kritiker wurden vor der Vergabe-Entscheidung des Turner-Stiftungsrates nicht einmal angehört.