Eine Handvoll Heimatloser

Liebe, Freundschaft und fehlende Antworten in den Zeiten von Schengen: „Nordrand“ weder didaktisch noch sozialromantisch  ■ Von Alexander Diehl

„Es scheint“, formulierte 1999 der slowenische Philosoph Slavoj Zizek, „als ob man niemals eine definitive Antwort auf die Frage ,Wo fängt der Balkan an?' erwarten könnte ... für manche Italiener und Österreicher fängt er in Slowenien an, als die Herrschaft der slawischen Horden; für manche Deutsche ist es Österreich auf Grund seiner historischen Verbindungen selbst, das schon von der balkanischen Korruption und Unfähigkeit bestimmt wird.“

Auch Barbara Alberts Nordrand ist solchermaßen vielleicht ein doppelter: der tatsächliche Nordrand Wiens, vor dessen Hintergrund der Film spielt; dann ist da Österreich selbst, Vorposten des Unionseuropas, das den Balkan „immer ein wenig weiter im Südosten“ (Zizek) wähnt, an seinen Grenzen aufrüstet – und das ausgeschlossen Geglaubte in seiner Mitte allenfalls duldet.

In ihrem Langfilmdebüt verwebt Albert die Schicksale einer Handvoll im weitesten Sinne Heimatloser im Laufe eines Winters, dessen Ausgang offen bleibt. 1995 – die TV-Nachrichten zeigen den beginnenden Abzug der serbischen Truppen aus Bosnien-Herzegowina – treffen die Protagonisten des Films aufeinander: Die serbische Krankenschwester Tamara (Edita Malovcic) und die indigene Konditorei-Angestellte Jasmin (Nina Proll), beide am Wiener Nordrand aufgewachsen und gemeinsam zur Schule gegangen, treffen sich seitdem erstmals wieder, und das ausgerechnet im Wartezimmer einer Abtreibungsklinik. Zuvor ist bereits Jasmins Lebenswandel eingeführt worden: Vor dem gewalttätigen und erdrückenden Etwas, das andernorts Familie hieße, flüchtet sie sich in Cremeschnitten und das kurzfristige Begehrtwerden seitens kaum ausgesucht wirkender Sexualpartner.

Dann ist da Tamaras Freund Roman (Michael Tanczos), dessen Militärdienst im Bewachen der österreichischen (und somit ja EU-europäischen) Südostgrenze besteht. Über jene Grenze sich zu schleichen ist wiederum der junge Bosnier Senad (Astrit Alihajdaraj) gezwungen. Sein Österreich ist kein gelobtes Land, sondern gezeichnet von der Furcht vor Polizei-Razzien und der Enge und Beschwernis in Flüchtlingsunterkünften. Da kommt er unversehens in die Rolle, Jasmin das Leben zu retten.

Schließlich: Valentin (Tudor Chirilá), ein in Wien lebender Rumäne, dessen großer Traum es ist, nach Amerika auszuwandern. Das Geld, das er seinem dubiosen Bekannten Rocko für die Beschaffung eines Visums geben soll, verdient er durch kleine zweifelhafte Geschäfte.

Die zunächst losen Einzelstränge laufen auf entscheidenden Strecken parallel, und schließlich verbringen Tamara, Jasmin, Senad und Valentin gar Sylvester mitei-nander,

Gelungen ist Nordrand nicht zuletzt deswegen, weil trotz aller entsprechenden Angebote durch Szenario und die angerissenen oder weitergehend verhandelten Themen (Bosnien-Krieg, illegale Migration, sexueller Missbrauch, Schiebereien, etc.) weder Sozialromantik noch -didaktik ihre Häupter erheben. Lakonisch wäre wohl zu nennen, wie die Figuren im selten selbst kontrollierten Spiel beo-bachtet werden. Bei aller Beispielhaftigkeit bleiben sie im Wesentlichen Charaktere, Rückgriffe auf allzu stereotype Platzhalter bleiben, auf Nebenfiguren beschränkt, die Ausnahme. Schließlich hält Nordrand manch wunderschöne Bilder bereit, die ihrerseits das Floskelhafte zu vermeiden wissen, seien es Jasmins kindliche Freude am ersten Schnee oder nächtliche Fahrten durch Wien.

Do - Mi, 13.9., 20.30 Uhr; 14. - 20.9., 22.30 Uhr; 21. - 25.9., 16 Uhr, 3001