Wahrheit, Lüge und Gerechtigkeit

■ Hin- und hergererissen zwischen extremen Emotionen und existenziellen Fragen: Ariel Dorfmans „Der Tod und das Mädchen“ im Theater Orange

Saisonbeginn für das Theater Orange aus dem Karoviertel. Unter der Leitung von Corinna und Peter Ohrt startet das Off-Theater nunmehr in sein zweites Jahr. Die dritte Produktion findet allerdings nicht in der eigenen Spielstätte in der Marktstraße statt, sondern in der Bar Schilleroper, quasi um die Ecke.

Schon in der vergangenen Spielzeit lockte ein externer Schauplatz – das Phonodrom auf der Reeperbahn. Statt Techno-Ambiente gibt man sich nun in gemütlicheren Gefilden die Ehre. Für Produzent Ohrt liegt ein besonderer Reiz darin, Räume zu nutzen, „die sonst nicht theatralisch bespielt werden“.

Regie führt wie schon beim Erstling des Theater Orange Christian Concilio. Nach dem Gefangenendrama Die Insel nimmt er sich diesmal des Stücks Der Tod und das Mädchen an. Statt an den chilenischen Autor Ariel Dorfman denkt man wohl eher an Roman Polanskis Film von 1995, in der Alien-Bezwingerin Sigourney Weaver an der Seite von Sympathieträger Ben Kingsley zu sehen ist.

Dabei war Dorfmans Schauspiel schon lange vor der Verfilmung ein Renner auf deutschen Stadttheaterbühnen, weshalb Peter Ohrt und seine SchauspielerInnen erstmal einige Bedenken hatten. Doch gerade in den Motiven Faschismus, Folter und Übermacht sieht Ohrt einen „aktuellen Bezug“.

Das Drama spielt sich in einer einzigen Nacht ab. Eine beliebige Nacht irgendwann in der Zeit nach dem Zusammenbruch der Diktatur, in der drei Menschen darum kämpfen, wer die Entscheidung zwischen Lüge, Wahrheit und Gerechtigkeit fällen darf. Einen Eckpunkt im Triangelgeschehen bildet Nina Escobar (Inka-Charlotte Palm): Traumatisiert von Folterung und Vergewaltigung, lebt sie wie abgeschlossen vom zivilisatorischen Geschehen zusammen mit ihrem Mann Frank Escobar (Benjamin Soyka). Der wiederum ist als Anwalt Mitglied der Kommission, die die diktatorischen Verbrechen aufklären soll.

Als dritte Figur in diesem gewalt-überschatteten Szenario erscheint durch einen Zufall Dr. Roberto Miranda (Friedemann Wulfes). Wen der Anwalt lediglich für einen netten Mann aus der Nachbarschaft hält, ist für Nina Escobar der zurückgekehrte Peiniger. Wo-ran es für sie keine Zweifel gibt, klingt in den Ohren des Gatten unwahrscheinlich: Stimme, Geruch und Musik (Schuberts Der Tod und das Mädchen) sollen stichhaltige Beweise sein? Zumal der seine Unschuld beteuernde Miranda einen guten Teil dazu beisteuert, an dem Mythos der überdrehten Hysterikerin zu feilen. Gleichzeitig stehen ihm seine Taten keineswegs in sein Arztgesicht geschrieben. Vielleicht ist er am Ende tatsächlich nur der liebenswürdige Familienvater?

Der Tod und das Mädchen wirft die Protagonisten zwischen extremen Emotionen und existenziellen Fragen hin und her. Und so wie Gerechtigkeit und Wahrheit nicht zum Zugreifen bereitstehen, existiert auch keine einfache Lösung.

Liv Heidbüchel

8.-10. September, 19 Uhr, Bar Schilleroper, Bei der Schilleroper 14, Tel. 433379