Die Nackte und die Schönen

Models ausschneiden und befreien: Die Galerie Paula Böttcher zeigt neue Arbeiten von Gerda Leopold

Im hell erleuchteten Raum der Galerie Paula Böttcher in der Kleinen Hamburger Straße sind derzeit „Schattenreliefs“ zu sehen: Ausgeschnittene Formen schweben vor dem weißen Hintergrund aus großformatigen Bögen bedruckten Papiers, die in handbreitem Abstand zur Wand gehängt sind. Es sind neue Arbeiten von Gerda Leopold. Die österreichische Künstlerin hat Seiten aus Modejournalen seriell aneinander kopiert, die abgebildeten Models aber herausgeschnitten.

Was einer spontanen Laune entsprungen sein könnte, gewinnt an Sinn, betrachtet man die künstlerische Entwicklung. Bisher hatte Leopold vor allem dunkle, große Ölbilder gemalt; nun scheinen die leichten und hellen Papierarbeiten auch thematisch sozusagen das Positiv davon zu bilden. Dabei kehrt in ihrer schweren, pastosen Malerei ein Motiv beständig wieder: ein Bildersaal mit einer Figur in Rückenansicht, die, oft nur angedeutete, Bilder betrachtet. In realistischeren Varianten steht diese Figur an der Seite und verbreitet Museumsatmosphäre, in düsteren, expressiveren Ausführungen steht sie störend in der Bildmitte und verstellt den Blick. Anders als in den bekannten holländischen Gemälden dieses Genres wird bei Leopold nicht die Welt in den Innenraum geholt und im Bilde betrachtet, sondern die Spannung zwischen Bild und Betrachter ist die Welt, ein bedrängender Innenraum, in dem das Schöne und sein Gegenüber in Lähmung erstarren.

Im Büro der Galerie hängt ein solches düsteres Ölbild von Leopold aus dem vergangenen Jahr. Wieder ist die Figur, die wie ein Koloss vor sechs Porträts der gleichen Person steht, zu einem schwarzen, schemenhaften, stumpfen Fleck geworden, der ins Bild gebrannt zu sein scheint. Blickt man von hier in den Ausstellungsraum, könnte es sich dabei aber auch um den Betrachter handeln, der in den neuen Arbeiten eliminiert ist. Gäbe es statt des schwarzen Flecks auf diesem Bild ein Loch in der Leinwand und würde man diese umdrehen, wäre der Effekt ähnlich wie bei den neuen Arbeiten: eine weiße Fläche mit ausgeschnittener Kontur.

Aber es stimmt nicht. Etwas anderes ist bemerkenswert an den Papierarbeiten. Herausgenommen ist nicht der Betrachter, sondern der Gegenstand der Betrachtung: die Models, die Schönheit. Dass dies durchaus als gewalttätiger Akt gemeint ist, vermittelt eine zur Ausstellung gehörende Fotodokumentation, die zeigt, wie die Wienerin Leopold mit der Schere den Papiermodels die Köpfe abschneidet und die Schnipsel verspeist.

Nun ist aber der Scherenschnitt traditionsgemäß eine stille, hingebungsvolle Technik. Dass Leopold die Beauties akribisch aus den Blättern entfernt, tut deren Schönheit keinen Abbruch: in ihrer Abwesenheit, im Spiel von Kontur und Licht hinter dem Papier, geraten die Formen und Schatten in Bewegung. Gleichsam als hätte Leopold ihre Models befreit, zeigt das Foto der Einladungskarte die Künstlerin nackt – bedeckt mit den bunt am Boden sich kringelnden Schnipseln. CAROLINE WESENBURG

Bis 23. 9., Mi – Fr 14 – 19 Uhr, Sa 13 – 18 Uhr, Galerie Paula Böttcher; Kleine Hamburger Straße 15, Mitte