Der einsame Pfarrer

Pierre Botembe kannte die Altbundesrepublik, und er kannte die DDR. Doch am meisten enttäuscht ihn die Kirche im vereinigten Deutschland

von PHILIPP GESSLER

Günther Strack. So sieht er aus. Wie Günther Strack in seiner Rolle als katholischer Pfarrer in Südhessen: Pierre Botembe ist ebenso massiv gebaut, wirkt bodenständig, kann ähnlich sanft sprechen – kurz: Er könnte mindestens so gut wie der verstorbene Volksschauspieler den gutmütigen Geistlichen spielen, „mit Leib und Seele“ eben. Und er hat sogar noch ein Plus gegenüber Strack: Er ist wirklich Pfarrer. Was ihn aber unterscheidet, ist die schwarze Hautfarbe.

Das ist ein Problem in Deutschland – selbst in der Kirche. Denn wenn es nicht auch in ihr Rassismus gäbe, wäre Botembe jetzt tatsächlich wie Strack im Fernsehen: ein gemütlicher Gottesmann mit Bäuchlein, irgendwo in Berlin oder Brandenburg. Und wenn es keinen Rassismus in der Gesellschaft gäbe, wäre auch seine Kirche nie gegründet worden: seine „Afrikanische Ökumenische Kirche e. V.“

Es war eine Notgeburt. Nach der Wiedervereinigung, so berichtet der 58-Jährige, sei er immer öfter von Freunden aus Afrika angesprochen worden. Sie hätten Furcht, ja Panik, sich auf der Straße zu bewegen, Angst, hier in Deutschland zu leben. Tagtäglich mussten sie rassistische Beleidigungen ertragen. „Wie im Rausch“, so Botembe, habe sich die Bundesrepublik damals verhalten. Da war nur Wiedervereinigung – „die Ausländer hat man vergessen“. Keine Institution habe den Afrikanern in Deutschland damals geholfen, keine deutsche Behörde, keine afrikanische Botschaft. Sie waren auf sich allein gestellt.

Diese Position kennt Botembe sehr gut – er probt sie schon sein Leben lang. Mit 20 Jahren, 1962, kam er aus dem Kongo in die Bundesrepublik, wurde in Pforzheim Chemiefacharbeiter und arbeitete ein paar Jahre bei Siemens. Politisiert wurde er durch die Studentenbewegung. Die gesellschaftliche Gleichgültigkeit gegenüber der „Dritten Welt“ und der Krieg in Vietnam entsetzten ihn. Seine Konsequenz: Er wanderte aus ins sozialistische Deutschland, in die DDR.

„Dort hat es mir sehr gut gefallen“, sagt er noch heute. Die Leute seien einfacher gewesen, es habe mehr Solidarität untereinander gegeben – ein ähnlicher Zusammenhalt wie bei Familien in Afrika. Botembe machte die 9. und 10. Klasse nach und ließ sich in Berlin und Gotha zum Berufsschullehrer für Elektrotechnik ausbilden. Das Ziel war, in den Kongo zurückzukehren, um dort eine Berufsschule zu gründen. Ende der 70er-Jahre machte er diesen Traum war. Doch der kongolesische Diktator Mobutu gab ihm keine Erlaubnis dazu. Notgedrungen kehrte er 1977 zurück. Nach Westdeutschland.

Wieder ein Neuanfang: Botembe wurde Therapeut für geistig und körperlich Behinderte, Erzieher in evangelischen Heimen in Spandau und schließlich Werklehrer in der Psychatrie. Dann entschloss er sich, Theologie zu studieren – und ging erneut dazu in den Osten: an die Humboldt-Universität. „Ich wollte die Konfrontation mit Marxisten“, erklärt er den Schritt: Nur wenn sein Glaube auch gegen deren harte Kritik bestehen könne, schien er ihm sicher genug. So machte er 1988 sein Diplom an der Humboldt-Uni.

Doch nach der Wiedervereinigung kam der Schock. „Zum ersten Mal habe ich in der Kirche Diskrimierung erlebt“, sagt er. Denn die Landeskirche lehnte es nun ab, ihm eine Pfarrerstelle zu geben. Sie schlug vielmehr vor, dass er aus der Kirche austreten, in den Kongo zurückkehren und sich dort als Pfarrer anstellen lassen sollte. Erst dann könne man ihn als „Gastpfarrer“ in Deutschland unterbringen.

Da habe er „die Krise bekommen“, sagt Botembe: „Gibt es etwa zwei Jesus: einen für Weiße und einen für Schwarze?“ Er war nun arbeitslos, die Ehe ging kaputt – „das war die schlimmste Zeit meines Lebens“. Der Rassismus nahm zu, ebenso die Anfragen seiner afrikanischen Freunde und Bekannte nach seelischem Beistand durch einen Geistlichen, der sie verstand. Deshalb gründeten sie gemeinsam die „Afrikanische Ökumenische Kirche“. Als eingetragenen Verein. Heute gehören ihr in Berlin etwa 100 Mitglieder an. In Afrika sind es mittlerweile viel mehr: circa 6.000, vor allem im Kongo.

In Berlin hat die Kirche einen 60-köpfigen Chor gegründet, Singen gegen den Rassimus. Die Glaubensgemeinschaft wird vom Senat finanziert, nicht von der Kirche, denn die sei, so sagt es Botembe bitter, arisch. Es herrsche eine „gewisse Apartheid“. In Berlin und Brandenburg gebe es über 70 Gemeinden von verschiedenen Volksgruppen. Doch eine finanzielle Unterstützung gebe es von der Landeskirche nicht, nur ab und zu eine Kooperation von Fall zu Fall. Deshalb müsse auch die Landeskirche in Sachen Rassismus umdenken, fordert Botembe, und nicht „den ersten Stein werfen“.

Immerhin werde sein Chor von einzelnen Gemeinden eingeladen. Man singt in der Kirche, Botembe predigt, dann setzt man sich zusammen, ohne über den Rassismus zu reden. Auch Jugendorganisationen besuchen die Afrikanische Ökumenische Kirche, um Vorträge zu hören – denn eines ist für Botembe sicher: dass es unter Jugendlichen so viel Neonazismus und auch Satanismus gebe, liege auch an Versäumnissen der Kirche. Nazis würden diese jungen Menschen verführen wie „Rattenfänger“.

Die Ursachen des Rassismus sieht Botembe in der Angst von vielen, mit anderen teilen zu müssen: „Es geht um die Wurst – da werden die Menschen zu Hyänen.“ Deutsche neideten den Ausländern ihre Arbeit. Während andere Ausländergruppen wie etwa die Türken in der Achtung gestiegen seien, weil sie auch Jobs schafften, würden die Afrikaner nur als „Bettler“ wahrgenommen, die den Kuchen für die Deutschen kleiner machten: „Der Kern des Rassismus ist Egoismus“, meint Botembe.

Und wie äußert sich der Rassismus? Eine Frau sei kürzlich zu ihm gekommen und habe unter Tränen berichtet, sie sei mit zwei anderen Frauen von Rassisten vergewaltigt worden. Ein anderes Gemeindemitglied sei in einer Telefonzelle zusammengeschlagen worden. Die Angst sei unter den 11.000 Schwarzafrikanern in Berlin allgegenwärtig. Nicht zu empfehlen sei eine S-Bahn-Fahrt um elf Uhr abends in Köpenick: „Das ist eine Dummheit.“ Und zu vermeiden sei auch die Nutzung der U-Bahn nach einem Fußballspiel.

Für die meisten Schwarzen in Deutschland ist das Leben Botembe zufolge ein „miserables Dasein“ – ohne Heimat, ein Kampf ums Überleben, ein Leben in einer bestenfalls desinteressierten Umwelt. Viele Afrikaner belaste diese Situation sehr stark – „manche wollten schon Selbstmord machen“, erzählt er. Es herrsche ein „institutionalisierter Rassismus“: Nur Schwarze, die Spaß machten, wie Roberto Blanco seien als Deutsche akzeptiert – die, die die Langeweile mit „etwas Killekille“ vertrieben, meint der Geistliche bitter: „Ein bisschen Spaß muss sein.“

Dennoch rate er seinen Gemeindemitgliedern, hier in Deutschland zu bleiben: „Nimm das Leben ernst, wo du stehst“, sagt er, „kämpfe hier, hier, hier.“ Eine Schlacht in diesem Krieg hat die Afrikanische Ökumenische Kirche vor gut einem Monat geschlagen: Sie demonstrierte an der S-Bahn-Station Nordbahnhof. Etwa 200 waren da. Von der Landeskirche fand nur ein Pfarrer dabei den Weg zur Demo.