in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über den Herrn Rudi

Es ist nicht alles Gold, was glänzt

Fast wäre es mir dann doch herausgerutscht, obwohl ich mich so darauf konzentriert hatte, aber vielleicht lag genau darin das Problem. Jedenfalls konnte ich erst im letzten Moment verhindern, Rudi Völler mit „Herr Rudi“ anzusprechen. Einerseits ist niemand so wenig „Herr Völler“ wie Rudi Völler, sondern eben Rudi oder gleich „Ruuudi“, doch selbst wenn er der letzte Mensch ist, der es irgendwie unpassend findet, wenn man ihn duzt, sollte doch die Form gewahrt werden, und da heißt es eben „Guten Tag, Herr Völler“.

Es sollte in diesem Interview um seine Aufgabe als Teamchef gehen und wie sich dadurch das Leben verändert hat. Kein Problem, das zu diskutieren, denn Rudi Völler ist ein wirklich netter Typ, der alles brav mitmacht und alle Fragen beantwortet, die man ihm stellt. Die dürfen auch richtig blöd sein, da ist er nicht böse und nachtragend schon gar nicht. Einmal hatte er mich angeraunzt, auf dem Rasen des Sportparks Unterhaching, wo Bayer Leverkusen zwanzig Minuten zuvor die Deutsche Meisterschaft vergurkt hatte, und ich weiß nicht mehr, wie meine Frage genau war, aber Rudi Völler polterte darauf so etwas wie: „Was soll denn das, Sie wissen doch sowieso schon, was Sie daraus machen wollen, da lasse ich mich gar nicht provozieren.“

Als er eine Stunde später noch immer etwas zusammengesackt am Pfeiler einer Säule der Abfertigungshalle des Münchner Flughafens stand, klopfte er mir aber freundlich auf die Schulter und sagte, dass er das so nicht gemeint und die Enttäuschung da mitgespielt hätte usw. Rudi Völler ist eben Nicest Man in Football Business.

Man darf ihm also alle Fragen stellen, auch welche, die blöd sind oder gemein oder sonst was. Auf eine interessante Antwort sollte man deshalb nicht hoffen. Denn Völler hat das wunderbare Talent, sich fast immer so substanzfrei zu äußern, dass man sich hinterher fragt, wie er das wieder hingekriegt hat. Einer seiner besten Tricks ist es dabei, über „Dinge“ zu sprechen. In unserem Gespräch von knapp einer dreiviertel Stunde Länge erzählte er mir mehrfach von „gewissen Dingen“, „bestimmten Dingen“, „taktischen Dingen“ und schließlich noch „anderen Dingen“. Das hört sich geheimnisvoll an und bleibt es auch. Denn worin diese Dinge bestehen, wird man ihm selbst durch eifrigste Nachfrage nicht entreißen können.

Außerdem redet Rudi Völler, wie alle Unbestimmtheitsfanatiker, über sich nie als „ich“, sondern wo immer es geht als „man“. Damit wird die persönliche Erfahrung ins Allgemeine gehoben, denn nicht etwa „ich“ habe etwas erlebt und daraus meine Schlüsse gezogen, sondern „man“ kennt das schließlich. Das bindet den Zuhörer ganz prima ein, der am Ende glaubt, ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben.

Und schließlich vermag es der Herr Rudi, ohne mit der Wimper zu zucken, Sätze zu sagen, die selbst auf dem Allgemeinplatz noch für zu allgemein gehalten würden. „Es ist nicht alles Sonnenschein“, ist einer davon und „Es ist nicht alles Gold, was glänzt“, ein anderer. Doch Rudi Völler spricht sie mit einer solchen Entschlossenheit aus, wobei er die Stirn nachdenklich in Falten legt, dass man denkt, er hätte wohl verdammt Recht damit.

Irgendwann gab ich die Fragerei auf, und als er mich verabschiedete, klopfte mir Rudi Völler wieder mal freundlich auf die Schulter, bedankte sich und sagte: „Bleiben Sie gesund.“ Das war natürlich sehr nett, im Weggehen musste ich aber doch noch stöhnen: „Es ist schon verdammt schwierig, ein Interview mit Ihnen zu machen.“ Augenblicklich war Völler höchst alarmiert und mit großer Besorgnis fragte er: „Hatten Sie etwa Schwierigkeiten, einen Termin zu bekommen?“ Nein, da konnte ich ihn sofort beruhigen, das mit dem Termin hatte wunderbar geklappt. „Aber Sie sagen halt sehr wenig.“ Um es nicht zu unhöflich klingen zu lassen, schloss ich eilig die These an, dass darin vielleicht ein Grund für seine Popularität zu finden wäre. Rudi Völler schüttelte nachdenklich den Kopf hin und her: „Manchmal würde man gerne schon etwas deutlich werden.“ Wohl wahr, und man würde sich darüber bestimmt freuen.

Fotohinweis:Christoph Biermann, 39, liebt Fußball und schreibt darüber