Beckett. Radio. Kunst

Diesen September setzt Deutschlandradio Berlin mit zweisprachigen Hörspielen, Essays und Performances ganz auf den irischen Dramatiker

von GABY HERTEL

Ob Henry auch die Wollhosen angezogen hat, fragt in Embers die zarte Damenstimme aus dem Jenseits. Immerhin sei es „ziemlich kalt, wie mir scheint“. Henry, die Männerstimme aus dem Hier und Jetzt, kennt diese Fürsorglichkeit. So reagiert er nicht erschreckt, sondern eher routiniert genervt.

Es ist, als wüsste er, was Autor Beckett bei seinen Seitensprüngen ins Krimigenre lernte: „Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realismus“ (Hitchcock). Und so belauschen wir ein altes Rede-Ping-Pong, das die beiden wohl seit Jahren spielen. Billie Whitelaw gibt die englische Totenstimme auf Becketts Wunsch möglichst tonlos. Und zeigt, wie vielseitig sich in dieser Beschränkung noch „spielen“ lässt. Ein gemeiner Schlenker etwa, mit dem sie ihrem Henry einen Stich versetzt, wirkt hier plötzlich komischer als zehn knallige Pointen.

Henry empfängt auch noch andere Stimmen. Alles Geister, mögliche „Leichen im Keller“, die im assoziativen Dialog-Patchwork ihre Geschichte entfalten. Zwischen dem „Öffnen“ und „Schließen“ dieser Szenen (so die Struktur des späteren Hörspiels „Cascando“), zwischen diesem Hin und Her braust – konkret und irreal zugleich – ein Meeresrauschen, das aus Henrys Kopf zu kommen scheint. Oder vielleicht doch nur aus dem Radio?

Neben einer durchaus komischen Ghoststory ist Embers auch ein Thriller. Denn ganz am Schluss wird in dramatischer Schwarzweiß-Bilderfolge einer umgebracht. Vermutlich. Bei Beckett weiß man ja nie genau. Auch nicht, in welchem Genre man sich gerade befindet. Ist das hier Film noir ohne Bild? Eher nicht, denn nie verliert Beckett die (fürs Hörspiel essenzielle) Bildfläche aus dem Auge. Und dass er etwa in der Malerei eine Vitalisierung seiner Sprache fand, belegt sein Biograf James Knowlson in einem Radioessay. So war es wohl die einzigartige Mischung des philosophischen Psychothrillers, die Embers 1959 den „Prix Italia“ einbrachte.

Mit merkwürdig verfremdeten Geräuschen als Indikator fürs Verwischen der Innen/Außen-Grenzen hatte Beckett schon 1957 experimeniert: in „All that Fall“, seinem ersten Auftragswerk, hatte er fürs BBC-Hörspiel gearbeitet. Dabei brachte er die Technik mit seinen Ansprüchen derart ins Schleudern, dass nach ihm ein radiophonic workshop eingerichtet wurde. Und so gehören Becketts radioplays zu den ersten in England, die das Label „Audioart“ überhaupt verdienen. Als Meister der Andeutung gibt der Autor seinen Figuren nur eine fragmentarische Gestalt. Spult einen von Pausen und Geräusch rhythmisierten Sprachestrom vor und zurück und wirft nur Schlaglichter auf die Geschichte. So sind all diese Hörspiele lebendige Klanggebilde. Kompositionen aus Worten, assoziativen Geräuschen, lyrischer Sprache, Musik und vor allem: Stimmfrequenzen, Stimmungslagen. Keine Wunder, dass Beckett die Musikeravantgarde um John Cage inspirierte, dessen Schüler Morton Feldman dann eine Komposition zum Hörspiel „Words and Music“ schrieb. Wie in Embers vermittelt Beckett auch in all den anderen radioplays lyrische Aussage direkt aus dem akustischen Erlebnis. „I have enough of this“, brüllt Henry irgendwann. „This“ ist das konturlose Rauschen, das entnervende Fließen des Seins. Was er stattdessen will? „That!“ – und knallt zwei Steine hart gegeneinander. Doch all das Toben wird nichts nützen. Die Welt bleibt unbegreiflich – aber hörbar.

Termine: „All that Fall“ (8. 9.; 0.05 Uhr); „Alle, die da fallen“ (10. 9.; 18.30 Uhr); „Embers“ (15. 9.; 0.05 Uhr); „Aschenglut“ (17. 9.; 18.30 Uhr); „Words and Music“ (22. 9.; 0.05 Uhr); „Warten auf Godot“ (24. 9.; 18.30 Uhr); „Cascando“ (29. 9.; 0.05 Uhr); „Samuel Beckett und die alten Meister“ (29. 9.; 18.30); „...the whole things coming out of the dark“, Hör-Performance von Klaus Buhlert. (1. 10.; 18.30 Uhr)