Ich war ein Berliner

Daniel Barenboim, das ist so gut wie sicher, wird Berlin verlassen – auch wenn Eberhard Diepgen seinen Verbleib zur Chefsache macht und Christoph Stölzl ein letztes Mal nach Chicago schickt

„Barenboim ist ein Berlin-Botschafter“ (Diepgen). „Berlin kann seinen Wünschen nicht nachkommen“ (Landowsky)

von RALPH BOLLMANN

Die Zeichen stehen auf Scheidung. „Ich habe 47 Jahre ohne Berlin gelebt“, verkündete Daniel Barenboim verschnupft, „ich kann gut nach 2002 ohne Berlin leben und Berlin ohne mich.“

Eine zehnjährige Beziehung steht vor dem Ende. Daniel Barenboim, 1992 auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker als künstlerischer Leiter der Staatsoper Unter den Linden in die Stadt geholt, wird seinen Zehnjahresvertrag wohl nicht verlängern. Zu sehr hat er sich auf die kaum erfüllbare Forderung nach einem Etat-Aufschlag um mehr als zehn Prozent versteift – und zu gering scheint seine Neigung, sich in die Niederung anstehender Opernfusionen zu begeben. Aus ihm werde „bestimmt kein Generalintendant“, sagte Barenboim mit Blick auf das Zusammengehen seines Hauses mit der Deutschen Oper, das sich am Horizont der Berliner Kulturpolitik abzeichnet.

Trotzdem muss Kultursenator Christoph Stölzl einen demonstrativen Versöhnungsversuch unternehmen und am kommenden Dienstag zu Barenboim nach Chicago fliegen. Schließlich hat der Regierende Bürgermeister den Verbleib Barenboims zur Chefsache gemacht. Über seinen Sprecher ließ Diepgen, in Berlins Opernhäusern sonst ein selten gesehener Gast, erst am Montag wissen: „Barenboim ist über die Musik hinaus ein Berlin-Botschafter.“

Mit seinem eisernen Festhalten an Barenboim steht Diepgen ziemlich einsam da – auch in der eigenen Partei. Berlin könne den „finanziellen Wünschen“ des Dirigenten „nicht nachkommen“, ließ CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky wissen. Auch der scheidende Festspiel-Chef Ulrich Eckhardt stärkte Stölzl den Rücken: „Erpressen lassen würde ich mich an der Stelle des Kultursenators nicht.“

So kann der Senator nur hoffen, dass sich der Umworbene beim Tête-à-tête am Lake Michigan kompromisslos zeigt. Dem Bürgermeister hat Stölzl dann guten Willen demonstriert, und bei den anstehenden Fusionsplänen hat er freie Hand.

Über einen Mangel an Personal kann er sich auch bei einem Abgang Barenboims nicht beklagen. Schließlich sitzt Leipzigs Opernchef Udo Zimmermann schon auf gepackten Koffern, um in einem Jahr die Generalintendanz der Deutschen Oper zu übernehmen – und, wie es aussieht, die Staatsoper noch dazu. Anders als Barenboim verfügt Zimmermann über einen gültigen Vertrag.

Für den Charlottenburger Musikchef Christian Thielemann gilt das nicht mehr: Im Streit um künstlerische Kompetenzen hatte er seinen Kontrakt nach der Berufung Zimmermanns gekündigt. Jetzt will er wieder, doch ist die Position bereits mit dem Italiener Fabio Luisi neu besetzt. Trotzdem scheint Stölzl geneigt, Thielemann ins Boot der fusioniert Mega-Oper zurückzuholen.

Um die Komische Oper, das kleinste der drei Berliner Musiktheater, ist es dagegen auffallend ruhig geworden: Sie kann hoffen, von der Fusionswelle verschont zu bleiben. Während die beiden großen Häuser unentwegt mit dem identischen Repertoire gegeneinander anspielten, hat sie ein eigenständiges Profil bewahrt. Es deutet also alles auf das Modell Paris hin, wo lediglich die beiden großen Häuser zur „Opéra National“ vereint sind. Dort begann der Spielbetrieb im neuen Verbund 1989 mit dem Abschied von einem Intendanten: Auch damals war es Daniel Barenboim, der seinen Hut nahm.