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Weil ihn der Kreml abblitzen lässt, inszeniert sich Medien-Oligarch Boris Beresowski jetzt als Ober-Oppositioneller

MOSKAU taz ■ Oligarch Boris Beresowski, jahrelang verhasster und gefürchteter Fadenzieher hinter der Kremlkulisse, schlüpft nach und nach in eine neue Rolle.

Mit schwindendem Zugriff auf die Präsidialkanzlei Wladimir Putins geriert sich der gewiefte Geschäftemacher jetzt als Russlands mutigster Oppositioneller. Anfang der Woche schrieb er abermals einen scharfen Brief an den Kremlchef, der für Furore sorgte. Daran wirft Beresowski der Kremlkamarilla vor, ihn erpressen zu wollen. Angeblich habe ihm – laut der dem Kreml nahe stehenden Iswestija –, der Chef der Präsidialkanzlei Alexander Woloschin ultimativ aufgefordert, spätestens in zwei Wochen seinen 49-Prozent-Anteil am staatlichen Fernsehsender ORT wieder an den Staat zurückzugeben.

Auslöser des Kremlzorns sei die OTR-Berichterstattung über den Untergang der Kursk und die Kritik des Senders am Krisenmanagement des Präsidenten gewesen.

Beresowski warnte Putin, das Ultimatum stelle in Wirklichkeit die Gesellschaft vor die wichtigste Frage, inwieweit nichtstaatliche Medien in Russland überhaupt noch ein Lebensrecht hätten. Überdies kündigte er an, er werde die von ihm kontrollierten Aktien nicht dem Staat, sondern „Journalisten und Vertretern der schöpferischen Intelligenz“ übereignen.

Zu den neuen ORT-Eignern sollen auf jeden Fall Sergej Dorenko und Igor Schabdurasulow gehören. Wie Finanzier Beresowski stellen die beiden allerdings nicht unbedingt Frontläufer eines demokratischen Pressewesens dar. Starmoderator Dorenko diskreditierte im Duma-Wahlkampf Putins Rivalen, Luschkow und Primakow, mit einer abstoßenden Propagandakampagne und verhalf dem damaligen Regierungschef so erst auf den Kremlthron. Und Schabdurasulow, selbst ehemaliger Kreml-Sprecher, baut derzeit eine Medienholding für den Beresowski auf.

Homunkulus Putin hat seinem Schöpfer Beresowski indes seit Ernennung zum Präsidenten keine Dankbarkeit gezeigt. Deshalb mutiert der nun zum Erzdemokraten. Das Paradox: Wegen seiner zweifelhaften Reputation schadet Beresowski womöglich der Demokratie, seine Warnungen vor antidemokratischen Tendenzen und Gleichschaltungsphantasien im Kreml sind aber voll berechtigt.KLAUS-HELGE DONATH