Eine Politik gegen Arme und Roma

betr.: Diskriminierung der Roma in Ungarn

Wir sind in Ungarn zurzeit Zeugen der schwersten Krise der Roma seit dem Holocaust. Die Ursachen dafür sind nicht nur in den vergangenen ein bzw. zwei, sondern vor allem in den letzten 50 Jahren zu suchen. Der momentane Zustand ist das Ergebnis einer gegen Arme und Zigeuner gerichteten antidemokratischen und antisozialen Politik.

Begonnen hatte alles im kommunistischen System. Schon damals herrschte eine staatlich sanktionierte Politik der Diskriminierung gegenüber den Zigeunern. Im Bildungssektor wurden die so genannten Zigeunerklassen eingeführt, durch welche die gesellschaftliche Diskriminierung der Zigeuner bereits in den Kinderschuhen zementiert wurde. In diese Zeit fällt auch eine ungünstige Siedlungspolitik, in deren Folge heute etwa zwei Drittel der Roma in den Gebieten mit der schlechtesten Infrastruktur und geringsten Industriedichte leben. Bis 1990 war also die gesellschaftliche Diskriminierung der Roma Tagespolitik.

Durch die Wende wurde in Ungarn plötzlich ein wilder Kapitalismus eingeführt. Wir Roma sahen das nicht so rosig; schließlich begannen wir unseren Weg im neuen System von der denkbar schlechtesten Position aus. Wir starteten mit Fußfesseln und 100 Meter hinter der Startlinie.

Bis 1992 wurden 70 Prozent der Roma im erwerbsfähigen Alter arbeitslos. Parallel dazu schnellten die Wohnraumkredite von 3 auf 28 Prozent. Familien mit einem oder mehreren arbeitslosen Mitgliedern waren plötzlich nicht mehr in der Lage, die aufgenommenen Kredite zurückzuzahlen. Viele Familien verloren ihr Heim oder lebten in ständiger Angst vor einer Zwangsräumung.

Die gegenwärtige Sozial- und Beschäftigungspolitik der Regierung ist offen armenfeindlich. Das Familiengeld soll nicht angehoben werden. Der Zeitraum des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe wurde von einem Jahr auf neun Monate gesenkt. Anspruch auf Steuervergünstigungen haben nur Familien, in denen die Eltern einer Arbeit nachgehen.

Mit den Geldern, auf die die Armen einen Anspruch hätten, wird die obere Mittelschicht unterstützt. Hinter diesen Schritten steht die Ideologie, dass Zigeuner „arbeitsunwillig und faul“ seien.

Im EU-Länderbericht 1999 wird festgestellt, dass Roma in der Verwaltung, im Bildungswesen, bei der Beschäftigung und auf vielen anderen Gebieten des Lebens diskriminiert würden.

Die Orban-Regierung hat im vergangenen Jahr ein uns betreffendes Maßnahmenpaket verabschiedet. Heute müssen wir allerdings feststellen, dass die Absicht zwar gut war und viele akzeptable Punkte zu Papier gebracht wurden, doch nichts davon umgesetzt worden ist – wenn man einmal von ein bis zwei Potjomkinschen Projekten absieht. Während die Regierung mit EU-Mitteln langfristige Infrastrukturprojekte in Angriff nimmt, leben wir hier weiter in völliger Armut und werden vom Rest der Gesellschaft immer weiter isoliert. Die Ausgliederung der Roma ist inzwischen fast vollzogen.

Während die Krise immer schwerer wird, nehmen auch die Emotionen immer mehr zu. Es gibt einen immer stärkeren Zigeunerhass. Die Situation ist zum Bersten gespannt. Während in den Köpfen auf beiden Seiten Bürgerkriegsverhältnisse herrschen, hüllt sich die Regierung in Schweigen. ALADAR HORVATH

Leiter der Stiftung für die Bürgerrechte der Roma in Ungarn