Der Krieg der Bosse

Jospins Zugeständnisse an die Fuhrunternehmer haben eine Regierungskrise herbeigeführt

„Jospin muss zurücktreten. Erhat das Landnicht mehr im Griff.“

aus ParisDOROTHEA HAHN

Der Nervenkrieg, der seit der Nacht zu Sonntag auf Frankreichs Asphalt tobt, hat auf die Pariser Paläste übergegriffen. Während überall im Land eine immer größer werdende Front von Bossen für billigeren Sprit – und jetzt auch für niedrigere Sozialabgaben – demonstrierte und während die meisten Tankstellen leer gepumpt waren, ging die Umweltministerin der kleinen Regierungspartei „les Verts“ zur Attacke auf ihren Koalitionspartner über. „Sollen unsere dreijährigen Anstrengungen zur Reduzierung des Treibhauseffektes unter dem Druck der Lobbys zunichte gemacht werden?“, fragte Dominique Voynet in einem Fernsehauftritt, in dem sie keinen Zweifel daran ließ, dass sie notfalls die rot-rosa-grüne Regierung verlassen wird.

Am Vortag hatte der kommunistische Verkehrsminister Jean-Claude Gayssot sein Angebot an die Fuhrunternehmer auf 35 Centimes Steuernachlass pro Liter Diesel erhöht. Als die Fuhrunternehmer sich dennoch weigerten ihre Barrikaden zu räumen und auch noch von Bossen aller möglichen anderen rollenden Branchen verstärkt wurden, hatte der sozialistische Premier Lionel Jospin eine neue harte Linie demonstriert. „Die Verhandlungen sind abgeschlossen, die Regierung wird keine weiteren Angebote machen“, sagte er. Dann forderte er die Fuhrunternehmer auf, ihre Proteste, die dem Land, der Wirtschaft und ihren eigenen Unternehmen schadeten, umgehend zu beenden. Die anderen Blockierer, von den Taxi-, über die Krankenwagen-, Bus- und Fahrschulbetreibern, bis zu den Bauern, versuchte er mit der Zusage zu beschwichtigen, die Regierung sei verhandlungsbereit.

Damit sandte der Regierungschef ein Signal auch an seine grünen Koalitionspartner. Eine Woche nachdem Innenminister Jean-Pierre Chevènement die Regierung mit massiver Kritik an der Korsika-Politik verlassen hat, will Jospin keine weiteren Brüche in der Koalition risikieren. Schließlich steht in den kommenden Wochen auch noch der – allerdings seit Monaten angekündigte – Rücktritt von Arbeitsministerin Martine Aubry bevor, die sich künftig allein um ihren Wahlkampf um das Rathaus von Lille kümmern will.

Schon vor Chevènement hatten mehrere enge politische Freunde Jospins den Premierminister durch ihre Rücktritte geschwächt: Wirtschaftsminister Dominique Strauss-Kahn musste wegen Bestechungsermittlungen gehen. Claude Allègre scheiterte im Erziehungsministerium. Ihre Nachfolger sind zwei „Dinosaurier“. Zwei Politiker, die den von Jospin zuvor sorgfältig vermiedenen Stallgeruch der Ära Mitterrand mit in die rot-rosa-grüne Regierung brachten: Jack Lang – jetzt Erziehungsminister – und Lauren Fabius – jetzt Finanzminister.

Vor allem der sozialliberale Fabius erweist sich jetzt als Problem. In der vergangenen Woche stellte Fabius einen Steuersparplan über 120 Milliarden Francs für die nächsten drei Jahre vor, den er prahlerisch als „größte Steuerreform seit 50 Jahren“ ankündigte. Unter anderm schuf Fabius bei der Gelegenheit die „Vignette“ ab, die Kraftfahrzeugsteuer für Privatleute. Mit einem Federstrich machte er auch den auf mehrere Jahre verteilten Anstieg der Mineralölsteuer auf Dieseltreibstoff zunichte, den die grüne Umweltministerin im Regierungsprogramm der rot-rosa-grünen Koalition durchgesetzt hatte.

Mit seinem Plan weckte Fabius auch alle möglichen Begehrlichkeiten auf weitere Hilfe vom Staat. Der Plan war noch nicht verkündet, da versperrten die Fischer schon die Häfen des Landes, um mehr Hilfe für ihre teuren Spritkosten zu bekommen. Die Regierung gab sie ihnen. Dann kamen die Fuhrunternehmer. Die Regierung sagte ihnen 35 Centimes zu. Dann kamen die anderern Blockierer, die gestern Straßen, Grenzübergänge und Großstädte lahmlegten.

Die französischen Grünen einigten sich nach Jospins strengem Machtwort vorerst darauf, in der Regierung zu bleiben. Die protestierenden Bosse hingegen ließen sich nicht im Geringsten beeindrucken. Im Elsass sprach ein Bauernfunktionär gestern bereits völlig ungeniert in ein Fernsehmikrofon: „Jospin muss zurücktreten. Er hat das Land nicht mehr im Griff.“