Wie werde ich ein Ghostwriter?

von RALPH BOLLMANN

1. Sie müssen lernen, im Stillen zu leiden. Die Mehrheit der deutschen Politiker und Wirtschaftsführer schätzt es nicht, wenn Sie über Ihre Dienstleistung öffentlich reden. Andere Leute für sich schuften zu lassen, gilt im Land der Dichter und Denker noch immer als anstößig.

Über ihre Redenschreiber sprechen Politiker deshalb so ungern wie über ihre Putzfrauen – auch wenn einem Staatsmann ohnehin niemand glaubt, dass er eigenhändig mit Laptop oder Scheuerlappen hantiert. Nicht einmal auf dem Kongress der Redenschreiber konnte Exaußenminister Hans-Dietrich Genscher das Heucheln lassen. Er habe es einfach „nicht übers Herz gebracht“, sich seinen Vortrag für das Ghostwriter-Plenum „aufschreiben zu lassen“, behauptete er.

2. Vergessen Sie Ihre Ideale. „Auf Ihre Überzeugungen kommt es gar nicht an.“ Mit diesem Satz empfing einst Regierungssprecher Klaus Bölling neue Kollegen in der „Schreibstube“ des Bundeskanzlers Helmut Schmidt. Kein Wunder bei einem Regierungschef, der Leute mit Visionen zum Augenarzt schicken wollte. Für Michael Engelhard war es ein Grund, die Zusammenarbeit rasch wieder einzustellen. Der spätere Redenschreiber Richard von Weizsäckers war nicht bereit, „dem Herrn Bundeskanzler zuliebe das Denken aufzugeben“. Im Gegenteil: „Ein guter Redenschreiber muss widersprechen können“, glaubt Engelhard: „Eine graue Maus wird immer nur Graue-Maus-Entwürfe liefern.“

3. Werden Sie Ihrem Auftraggeber immer ähnlicher. „Der Redenschreiber muss den Redner vielleicht besser kennen, als der Redner sich selbst kennt“, sagt Genscher. Eine Symbiose, die viele Ghostwriter für den Rest des Lebens prägt. Zwei schöne Beispiele waren in dieser Woche auf dem Kongresspodium zu bewundern: Thilo von Trotha, der einst Reden für Schmidt fabrizierte, trägt noch heute alle Züge eines unauffällig-effektiven Ministerialbeamten aus der Ära des Pragmatikers im Kanzleramt. Kollege Engelhard hingegen präsentiert sich unverkennbar als Repräsentant der Zeit Willy Brandts, in dessen Büro er einst arbeitete – der Weltliteratur zugetan und noch immer ein höchst pathetischer Redner auch in eigener Sache. In keiner seiner Reden fehlt ein Goethe-Zitat. Was sagt er also, wenn er die Bedeutung der politischen Rede erklären soll? „Die Menschheit hat ein fein Gehör, ein reines Wort erreget gute Taten.“

4. Scheuen Sie sich nicht, weit unter Ihrem Niveau zu bleiben. Nicht jedem Redner können Sie derlei klassische Bildungsgüter unterschieben. Nicht jeder Redner ist so schlau wie Sie. „Der Redenschreiber muss auch knien können“, weiß Staatsmann Genscher aus Erfahrung, „er darf den Redner nicht überfordern.“ Kein Wunder also, dass Heerscharen von mittelmäßigen Politikern bei mittelmäßigen Redenschreibern wie Ihnen jene mittelmäßigen Reden in Auftrag geben, die das politische Leben in diesem Land mit einem zähen Kleister aus Heuchelei, Unaufrichtigkeit und Langeweile überziehen.

5. Verzichten Sie auf eigene Ideen. Vermeiden Sie alles, womit Sie anecken könnten. Beachten Sie peinlichst die Zuständigkeiten der Ministerialbeamten, die sich sonst auf den Schlips getreten fühlen. Halten Sie sich an diese einfache Regel, dann müssen Sie nicht fürchten, dass Ihre Rede im Gedächtnis bleibt. Misstrauisch beäugen Sie jene Kollegen, die ihre Auftraggeber auf neue Gedanken bringen wollen. Sie verstehen überhaupt nicht, warum der Kollege Engelhard mit der Rede berühmt geworden ist, die er zum 8. Mai 1985 für Richard von Weizsäcker geschrieben hat. Schließlich hatte er zehn Jahre zuvor für Walter Scheel schon eine ganz ähnliche Rede verfasst – und niemand hat es gemerkt. Von der Kunst, das richtige Wort zum richtigen Zeitpunkt auszusprechen, verstehen Sie nichts. Sie sind ja kein Schriftsteller.

6. Bleiben Sie am Mann. Lassen Sie Ihren Auftraggeber nicht aus den Augen. Begleiten Sie ihn zu jedem wichtigen Termin. Politische Konstellationen ändern sich schnell. Eine Rede, die Sie wochenlang vorbereitet haben, kann in wenigen Stunden Makulatur sein. Aber nicht nur dann müssen Sie zur Stelle sein. Es kann auch passieren, dass der Redner das Manuskript verlegt hat – oder, noch schlimmer, beim eiligen Aufbruch den falschen Entwurf in der Innentasche seines Sakkos versenkt hat. Sind Sie dann mit dem rettenden Papier zur Stelle, wird er Ihnen auf ewig dankbar sein.

7. Werden Sie schizophren. Als Redenschreiber müssen Sie Dinge aufschreiben, die sich nachher anhören sollen wie frei gesprochen. Das kann nicht funktionieren, wie jeder Hörfunkjournalist weiß. Es kommt aber noch schlimmer: Sie müssen formulieren, als wären Sie jemand anderes. Das geht auf die Dauer nicht ohne schweren Persönlichkeitsschaden ab.

8. Schließen Sie Freundschaft mit dem Papierkorb. Je besser der Redner, desto schlechter für den Redenschreiber. Bundeskanzler Schröder zum Beispiel spricht fast immer frei, und er hält fast immer dieselbe Rede. Schreitet er zum Rednerpult, lässt er das mühsam verfasste Manuskript meist auf dem Stuhl liegen. Sie haben also schon wieder für den Papierkorb gearbeitet. Vergeblich war Ihre Arbeit trotzdem nicht: Hat der Kanzler den Text wenigstens durchgelesen, baut er schon mal das eine oder andere Stichwort von Ihnen in seine Rede ein. Nur bei Themen, über die er wenig weiß, liest Schröder ab. Das wirkt dann genauso unglaubwürdig wie bei den Wirtschaftsführern, die ohnehin immer am Blatt kleben. „Der typische Vorstand trennt sich eher von seiner Frau als von seinem Manuskript“, glaubt Verbandschef Olaf Henkel.

9. Wählen Sie die Redner, für die Sie schreiben, sorgfältig aus. Manche Politiker können einfach nicht reden, und das färbt dann leider auf Ihr Renommee als Redenschreiber ab. Wer textete für Helmut Kohl? Niemand weiß es, und niemand will es wissen. Beim Einheitskanzler diagnostizierte Biograf Jürgen Busche „ein Fehlen von intellektueller Selbstkontrolle bei der Formulierung der Sätze und der Wahl der Bilder, wie es in der öffentlichen Rede bis dahin unvorstellbar gewesen war“. Das ist nicht nur für Sie als Redenschreiber ein Problem, sondern auch für Sie als Staatsbürger.

Das Lebenselexier der Demokratie ist schließlich der öffentliche Diskurs. Doch in der Amtszeit jenes Kanzlers, der nicht reden konnte, starb er langsam ab. Weil Kohl nicht als Redner führen konnte, musste er per Bimbes regieren. Und er konnte es tun, weil er über die Mechanismen seiner Herrschaft nicht öffentlich sprach.

10. Pflegen Sie Ihre Minderwertigkeitskomplexe. Je fragiler das Selbstbewusstsein, desto markiger das Auftreten. „Sie sind eine Elite des Wortes“, versucht Verbandspräsident Thilo von Trotha seinen Kollegen unentwegt einzubläuen. „Redenschreiber können stolz sein auf ihren Beruf.“