„Wir wollen dich hängen sehen“

Er musste aus dem Iran fliehen, weil für ihn alle Propheten gleichwertig sind: Darioush glaubt an die Baha'i-Religion. Die ist zwar sogar auf der Expo vertreten. Aber ob Darioush hier bleiben kann, ist fraglich  ■ Von Henrik Gast

Mit seiner Mutter in Täbris hat Darioush seit zwei Jahren nicht mehr gesprochen. Zu gefährlich: „Wahrscheinlich hört der Geheimdienst die Telefongespräche ab.“ Nur über einen Mittelsmann lässt er ihr Nachrichten zukommen. Darioush ist 29 Jahre alt und stammt aus dem Iran. Vor zwei Jahren ist er geflüchtet, doch er sagt niemandem weshalb. Schon gar nicht dem anderen iranischen Asylbewerber, mit dem er eine Dachgeschosswohnung teilt. „Wir fragen uns nicht danach“, sagt Da-rioush, „wir würden sowieso lügen.“ Er schließt mit Bedacht die Tür zu seinem Zimmer. Es ist karg eingerichtet: In der Ecke eine Matratze, der Fernseher steht wie vorübergehend auf dem Boden. Auf dem Regal sind wenige Bücher aneinander gereiht, eine persisch-deutsche Übersetzung, eine deutsche Grammatik für Einsteiger, ein Bildwörterbuch, ein deutscher Duden. Über seinen Glauben redet Darioush nur, wenn die Musik laut ist, und begründet: „Du kennst sie nicht“, sagt er, „die fanatischen Muslime. Als Baha'i ist man nicht sicher, nirgends auf der ganzen Welt.“

Die heiligen Schriften von Baha'ullah, dem Propheten der Baha'i-Religion, verwahrt Darioush unter dem Kopfkissen. Auch wenn es sich darauf schlecht schläft. Fotografieren lassen will er sich auf keinen Fall: Er fürchtet, sollte er abgeschoben werden, Rache im Iran.

Der Baha'ismus ist eine Glaubensgemeinschaft, deren Wurzeln im Islam liegen, die aber von diesem oft nicht toleriert wird. Die Baha'i haben mit Baha'u'llah ihren eigenen Propheten, der nach Mohammed gelebt hat. Dadurch sind sie unmittelbar von dem Vorwurf der Apostasie, des Glaubensabfalls, betroffen. Im Iran wird Apos-tasie hart bestraft. Der Religionsführer Ayatollah Khomeini befahl, einen Mann mit muslimischen Eltern, der vom Islam abgefallen ist, mit dem Tode zu bestrafen, eine Frau mit Schlägen und lebenslanger Haft. Während Juden, Christen und die Zoroastrier durch die Verfassung geschützt werden, haben Baha'is keinerlei Rechte.

„Wir wollen dich hängen sehen“, sagte sein Schwiegervater zu Da-rioush. Dieser Satz hat sich in seinen Kopf eingebrannt. „Er nannte mich einen schmutzigen Menschen, der seine Tochter beschmutzt hat.“ Zuvor hatte seine damalige Frau noch gelacht, als er ihr beichtete, dass er ein Baha'i werde. „Sie dachte, ich scherze“, sagt Darioush. Doch als sie merkte, dass er es ernst meinte, war sie verärgert, ging zu ihren Eltern zurück und verriet Darioushs Abkehr vom Glauben. Später ließ sie sich scheiden. Seitdem ist Darioush ein Abtrünniger.

Die Baha'i-Religion gründete sich Mitte des 19. Jahrhunderts in Bagdad, und wurde in ihrer Frühzeit massiv verfolgt. Die Verfolgungen flammten immer wieder auf, „zuletzt massiv in der islamischen Republik Iran“, informiert die deutsche Baha'i-Gemeinde auf ihrer Homepage. Der Oberste Islamische Kulturrat weist in einem offiziellen Dokument alle iranischen Behörden an, „den Fortschritt und die Entwicklung der Baha'i zu blockieren“ und ihre „kulturellen Wurzeln im Ausland zu zerstören“. Die UN-Menschenrechtskommission hat dieses Papier 1993 für au-thentisch befunden. Die Diskriminierung der Baha'i im Iran reicht weit. Sie dürfen keine Universität besuchen, eine eigene Hochschule wurde 1998 zerschlagen, die heiligen Stätten zerstört und geschändet. Eine staatliche Anstellung ist ihnen verschlossen. Vor den iranischen Gerichten sind die Baha'i weithin ausgeliefert. In einem Fall wurde ein Muslim, der einen Baha'i mit der Axt erschlagen hatte, freigesprochen, mit der Begründung, das Opfer sei ein Baha'i gewesen. Amnasty international und die deutsche Baha'i-Gemeinde haben diese Fälle ausführlich dokumentiert. Auch Darioush hat die Diskrimierung miterlebt, noch bevor er selbst dem Glauben angehörte: Ein Baha'i-Mädchen aus seinem Stadtteil wurde von fünf muslimischen Jungen vergewaltigt. Kein Gericht bestrafte die Täter. „Ein weiser Mann verpasste ihnen dennoch 75 Peitschenhiebe“, erzählt Darioush. Nicht weil sie ein Baha'i-Mädchen vergewaltigt hatten, sondern weil der Koran verbietet, dass fünf Jungen mit einem fremden Mädchen schlafen.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge glaubte Darioush nicht, dass er im Iran verfolgt wird, und lehnte seinen Asylantrag ab. Nun klagt er. Seine Aussichten sind dürftig, denn es fehlen ihm vorerst schriftliche Beweise. Dass Darioush dreimal am Tag betet, jeden 19. Tag fastet, meditiert und in den heiligen Schriften von Baha'ullah liest, interessiert nicht. Die Mitgliedschaft in der deutschen Baha'i Gemeinde ist Darioush versagt: Falls er wieder abgeschoben wird, würde ihn eine Zugehörigkeit zusätzlich gefährden. Viel hängt an der Scheidungsurkunde. Welchen Grund hat seine Frau für die Trennung angegeben? Darioush zuckt mit den Schultern. Weltanschauliche Unterschiede? Das wäre gut. Seine Abkehr vom Glauben? Noch besser.

„Ich wollte nicht Muslim werden, nur weil ich in einer muslimischen Familie geboren bin“, erklärt Dariush seine Motivation, sich vom Islam abzuwenden, “ich wollte selber entscheiden und meinen eigenen Weg finden.“ Er beschäftigte sich ausführlich mit den Weltreligionen und entschied sich zuletzt für den Baha'ismus: „Die Muslime sind fanatisch, meinen, immer Recht zu haben. Das gefällt mir nicht.“ Die Baha'is respektierten jeden Menschen auf der Welt. Sie sähen auf andere Religionen nicht von oben herab. „Sie versuchen ein Miteinander statt ein Gegeneinander“, sagt Darioush, „das hat mich überzeugt.“

Fünf Millionen Baha'is gibt es weltweit, in 181 Ländern. Die Internationale Gemeinde hat ihren Sitz in New York und verfügt über einen beratenden Status bei den Vereinten Nationen. Auch auf der Expo ist die Gemeinde vertreten. Die Baha'is sind der Auffassung, dass alle Propheten - Moses, Mohammed, Jesus oder eben Baha'ullah - gleichwertig sind. Der Baha'-ismus sieht sie in einer evolutionären Reihenfolge. In den nächsten tausend Jahren sei Baha'ullah noch der zeitgemäße Prophet, dann werde der nächste erscheinen. In Deutschland leben rund 6000 Menschen nach dem Glauben, die 220 Hamburger Baha'is haben ein eigenes Zentrum in Rotherbaum.

Darioush war dem Baha'i-Glauben offiziell noch nicht beigetreten, da wurde er schon verfolgt. Er war abends auf dem Weg nach Hause, lief die Dr. Fatemi-Straße entlang. Da sah er seinen Schwiegervater, wenig später Polizisten, manche in grüner Uniform, andere in Zivil in seiner Wohnung im zweiten Stockwerk. Darioush rannte die Straße zurück. Er wusste, was ihm blüht, wenn man ihn entdeckt. Seit der iranischen Revolution 1979 wurden 202 Baha'is hingerichtet, willkürlich wurden sowohl führende Persönlichkeiten als auch einfache Gläubige ausgewählt. Elf Menschen sitzen zur Zeit in iranischen Gefängnissen, ausschließlich unter dem Vorwurf, Baha'is zu sein. Vier von ihnen sind zum Tode verurteilt. Hätte Darioush vor Gericht gesagt: „Ich glaube fest an den Islam, es war alles eine Verleumdung“; das Urteil wäre sicherlich milde ausgefallen. Doch Darioush hätte so etwas niemals gesagt. „Ich wäre von meinem Glauben nicht zurückgetreten. Jeder Mensch möchte leben. Ich bin geflohen, weil ich leben, frei leben und den Glauben bei mir behalten wollte.“

Die Worte berauschen ihn. Dann sagt er eine Weile gar nichts und beginnt wieder: „Im Iran habe ich mich lange Zeit wie ein durstiger Mann gefühlt, der nicht weiß, was Wasser ist.“ Darioush hat sich nach etwas gesehnt und wusste nicht wonach. Im Rückblick weiß er es: Freiheit.

Er wäre damals, als die iranische Polizei nach ihm suchte, vielleicht nicht geflohen, hätte es ihm seine Mutter nicht so eng ans Herz gelegt. „Ich habe immer das Gegenteil von dem getan, was sie mir riet“, erinnert sich Darioush. Sie wollte, dass er Pilot wird, er wurde Apotheker, sie schlug ihm das eine Mädchen vor, er nahm das andere. „Dieses eine Mal“, sagte seine Mutter, „folge meinem Rat und flieh!“ Er tat, wie ihm geraten wurde. „Ich wollte es meiner Mutter nicht antun, dass sie mich gehängt sieht“, sagt er. Ihren einzigen Sohn. Am 27. Januar 1997 lief Darioush zu Fuß bei Bazargan über die Grenze in die Türkei. Die Türken hielten ihn für einen schiitischen Muslim. Was im Iran der Regelfall ist, kann in der Türkei Nachteile mit sich bringen: Dort sind die Sunniten in der Überzahl. „Ich habe mich nicht sicher gefühlt“, sagt Darioush. Seinen wahren Glauben gab er nur in der Vertretung der Vereinten Nationen preis, bei der er zwei Asylanträge stellte. Der erste scheiterte, den zweiten hat er nicht abgewartet. Darioush war es egal, in welches Land er gelangen würde, nur ein freies Land musste es sein. Kanada und USA gaben ihm kein Visum. Darioush bewarb sich in Israel, weil das Weltzentrum des Baha'imus in Haifa liegt. Doch ein Mitarbeiter im Konsulat habe ihm gesagt: „Wir können Ihnen helfen, ein Jude zu werden, vom Baha'ismus haben wir noch nichts gehört.“

Ein Hinweis kam, man könne ihn von Istanbul illegal nach Deutschland bringen. Kosten: 10.000 Dollar. Darioush beriet sich mit seiner Schwester, die ebenfalls in der Türkei war, und nahm das Angebot an: „Für mich war es ein Seil in die Freiheit.“ Vier Tage fuhr er mit dem Helfer in einem alten Mercedes durch Europa. Als sie in München ankamen, war Darioush nicht sicher, ob er wirklich in Deutschland ist. Er fragte einen Fußgänger, als der Fahrer Pinkeln war. „Ist das hier München?“ „Willst du mich verarschen?“, wurde ihm entgegnet. Da wusste Darioush: „Hier bin ich richtig.“ Der Fahrer kam wieder, beide gingen zum Telefon. Da-rioush rief seine Schwester in der Türkei an: „Es wundert mich, es ist hier sonnig.“ Das war das vereinbarte Kennwort. Die Schwester wusste, es geht ihm gut, alles ist überstanden. Sie übergab die 10.000 Dollar einem Mittelsmann in Istanbul. Eine Woche später stellte Darioush in Köln den Asylantrag. Zwei Jahre sind inzwischen vergangen.

Das Urteil zu Darioushs Klage ist zunächst vertagt. Kein schlechtes Zeichen. „Andere Richter hätten den Fall schon längst abgeschlossen“, sagt sein Anwalt. 1999 wurden von 4607 Asylanträgen von Iranern nur 481 anerkannt. Und bei Iranern liegt die Quote noch relativ hoch.

Darioush hat nun Zeit, nach der Scheidungsurkunde zu suchen. „Wenn dort nichts steht, wird es sehr schwer für ihn“, sagt sein Anwalt. „Aber welchen Grund hätte ich außer meinem Glauben gehabt, nach Deutschland zu fliehen?“, fragt Darioush. „In Täbris habe ich als Apotheker gearbeitet, hatte Grundstücke und Startkapital. Ich hätte meinen eigenen Laden aufmachen können und gutes Geld verdient. In Deutschland bekomme ich zurzeit 395 Mark im Monat, davon 315 Mark in Gutscheinen.“ Er sei kein Wirtschaftsflüchtling: „Ich will als Mensch mit religiösen Probleme anerkannt werden. Ich habe es satt, in Angst zu leben.“

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