„Ich laufe nur bei Regen ...“

„... denn das ist viel erfrischender“: Die geistig behinderten TeilnehmerInnen der Special Olympics verblüfften durch ungewöhnliche Begründungen. Fröhliche Spiele im wahrsten Sinne: Es gewinnt auch, wer nicht gewinnen kann

aus Berlin OKE GÖTTLICH

Startschuss zum 50-Meter-Lauf. Acht LäuferInnen im Alter zwischen 14 und 40 Jahren rennen los. Plötzlich, auf Bahn 5, stolpert einer. Rappelt sich hoch, sprintet wieder los, kommt zehn Sekunden nach allen anderen ins Ziel, reißt die Arme in die Höhe und springt auf und ab. Grinsend wie ein Honigkuchenpferd sucht er seine Mannschaftskollegen, umarmt alle und geht stolz singend zur Siegerehrung. Alle acht werden auf das Podest gerufen und mit Medaillen geehrt. Gold, Silber und Bronze für die ersten drei und Kupfermedaillen für die anderen. Alle erhalten ihre verdiente Plakette, und sie löst häufiger Glückstränen aus als die Goldene bei Olympischen Spielen.

Die Spiele für geistig behinderte AthletInnen führen den ursprünglichen olympischen Gedanken fort. Früher ging es auch den Funktionären vom IOC um ein breitensportliches, Völker verbindendes Amateursportfest mit festen moralischen Idealen und nicht nur um Finanzen. Bei den Special Olympics ist dabei sein wirklich noch alles. Schon der Eid macht das klar: „Lasst mich gewinnen, doch wenn ich nicht gewinnen kann, lasst mich mutig mein Bestes geben.“

Anders als bei den vom IOC organisierten Paralympics der Behinderten ging es in Berlin vier Tage lang nicht um Bestleistungungen und Rekorde. Auch Vor-, Zwischen- und Endläufe fallen komplett weg. Stattdessen werden schon vorher Leistungsgruppen gebildet und so in einer Disziplin mehrere Sieger mit Gold geehrt. Jede Lauf ist somit ein Endlauf. „Alles ist so weit wie möglich simplifiziert worden, um ein breitensportliches Konzept zu erreichen. Es sind Spiele und keine Meisterschaften“, sagt der Präsident der Special Olympics in Deutschland, Professor Peter Kapustin, der seit vielen Jahren am sportwissenschaftlichen Institut der Universität Würzburg mit geistig Behinderten arbeitet.

4.000 Athleten, die zumeist geburtsbedingt einen Intelligenzquotienten von 70 bis 75 besitzen und in zwei oder mehr Fähigkeiten des täglichen Lebens eingeschränkt sind, folgten Kapustins Ruf nach Berlin zu den nationalen Special Olympics. Alle zwei Jahre kommen sie zusammen, um mit imponierendem Einsatz den vielen Skeptikern zu trotzen, die ein Sportfest in dieser Form lange für unmöglich hielten. Und so zu Behinderern wurden, indem sie die Arbeit vieler Betreuer, Trainer, Familien und Wissenschaftler erschwerten. Heute erkennen allmählich auch Sportverbände und Sponsoren in Deutschland die positiven Aspekte der sportlichen Betätigung für geistig behinderte Menschen.

In den USA gehen die Special Olympics International auf das Jahr 1968 zurück, als Eunice Kennedy Shriver die ersten Spiele abhielt. Inzwischen sind daraus populäre Veranstaltungen geworden, 162 Länderorganisationen haben sich gegründet, in Schulen ist außerstundenplanmäßiger Sportunterricht eingeführt. Viele Prominente unterstützen das Lebenswerk der Schwester von John F. Kennedy. Die Liste der Förderer reicht von Arnold Schwarzenegger bis Michael Jordan. In Berlin meinte der musikalische Stargast Jon Bon Jovi: „Es ist faszinierend, die Freude an der Bewegung im Gesicht und im Herzen der Athleten zu beobachten.“

Ein Eindruck, den man beim Besuch des Sportfests nur teilen konnte. Bei jedem Satz in die Weitsprunggrube beispielsweise, und war er noch so misslungen, ließen sich die Zuschauer von der freudigen Stimmung der Aktiven anstecken. Fröhliche Spiele im wahrsten Sinne.

Vor einem halben Jahr hatte der Olympiasieger und Weltmeister Markus Wasmeier mit Behinderten das Ski fahren geübt. Seine anfänglichen Hemmungen, erzählt er als Augenzeuge in Berlin, waren innerhalb von wenigen Minuten vergessen, das Training wurde zum „schönsten Tag in meinem Leben“. Ein Behinderter erzählte ihm jetzt, dass er noch nie Ski gelaufen sei, um sich auch eine Trainingseinheit bei dem Star zu sichern. Später stellte sich heraus, dass der Mann seit 15 Jahren Ski fährt. „Mit coolen Sprüchen haben sie mein Herz erobert“, sagt Wasmeier.

„Ich laufe nur bei Regen, ist doch viel erfrischender. Aber jetzt muss ich erst mal eine rauchen gehen“, erklärt Thomas Wüst, der Silbermedaillengewinner über 1.500 Meter, dreht sich um, geht zu seinem Freund Sebastian Werner und flüstert ein bisschen laut: „Das glaubt der mir doch sofort.“ Spaßige Szenen, die Richtig und Falsch nicht mehr erkennen lassen und den Special Olympics sportliche Ernsthaftigkeit nehmen und vermeintliche Schwere.

Organisator Karl-Heinz Thommes aber meint es ernst, wenn er die integrative Funktion des Sports für Menschen unterschiedlichster Herkunft, Fähigkeiten und Möglichkeiten mit deutlicher Symbolik zusammenfasst: „Das ist doch wahrlich die größte Veranstaltung gegen rechts.“