Der Kapitalismus, echte und falsche Chucks etc.
: Von der Schwierigkeit, die richtigen Turnschuhe en gros zu bekommen

Einkaufen II

Es kommt im Leben eines Konsumenten nicht sehr häufig vor, dass er ein Produkt entdeckt, bei dem die Nachfrage das Angebot übersteigt. Man kann das dann erst gar nicht glauben, schließlich lebt man doch nicht umsonst in einer Wegwerfgesellschaft, da möchte man wenigstens von ihren Vorzügen profitieren.

Nachdem ich zehn Jahre lang mein Erwachsensein dadurch markiert habe, dass ich keine Turnschuhe mehr trug, habe ich kürzlich den Spieß umgekehrt und wieder welche angezogen. Es hat ein bisschen länger als sonst gedauert, meinen neuen Stil nicht für eine neue Verkleidung zu halten, aber dann verliebte ich mich selbst in diesen federnden Gang. Die Turnschuhe, die mich so verjüngten, hatte ich vor Jahren für ein paar Mark an irgendeinem Grabbeltisch mitgenommen, in irgendeine Ecke gelegt und dann nie angezogen.

Jetzt war ich auf den Geschmack gekommen und wollte mir von dieser Sorte ausreichend Paare für den Rest meines Lebens besorgen, ein alter Reflex. Ich versuchte es in den größten Einkaufszentren der Stadt, es gab Turnschuhe, aber sie waren zu teuer, um sie zu benutzen. Ich versuchte es in den Spezialläden, auch hier kein Erfolg. Ich beschrieb einem Verkäufer, was ich suchte, er lächelte und sagte: „Das sind Chucks.“ Von mir aus, aber warum lächelte er? Waren sie zu billig für seinen Laden?

„Die gibt’s nirgends. Die sind in Berlin Bückware.“ „Und woher weißt du das?“ „Weil ich täglich fünfmal danach gefragt werde. Wir warten seit März auf eine Lieferung.“ Er gab mir noch den Tipp, es mal bei Görtz im Europacenter zu versuchen, da habe er sie zuletzt gesehen. Die ostigsten aller Turnschuhe, eines der wenigen Produkte neben Tischtenniskellen, Sesamkonfekt und Schnupfensalbe, mit dem uns unser Bruderland Vietnam zu erfreuen wusste, diese zum Sport völlig ungeeigneten Schrumpeldinger aus Stoff und Gummi sollte es im Kapitalismus nicht geben?

Ich zog weitere Erkundigungen ein, seltsamerweise wussten alle Bescheid: „Chucks, von Converse, gibt’s nirgends“. Warum hatten wir nie darüber gesprochen? Das musste einem doch nicht peinlich sein. Einige wollten sie in Kreuzberg gesehen haben, andere in Zehlendorf, dritte wiederum in einer Filiale von Lidl, „allerdings keine echten“. Das machte mir nichts, ich hatte bis eben gar nicht gewusst, dass es „echte“ gab.

Ich suchte im Internet unter „Chucks“ und stieß auf eine Seite, auf der jemand begeistert davon berichtete, dass er sich jetzt „Fisten“ lasse und es dabei besonders genieße, die Faust des Partners an der eigenen Bauchdecke von außen zu umfassen. Was hatte das mit Turnschuhen zu tun? Ich las lieber nicht weiter. Meine Zweifel am Internet hatten keine neue Nahrung nötig. Stattdessen fuhr ich ohne große Hoffnung zum Zoo. Warum sollte ich das Europacenter zehn Jahre nachdem ich dort ein Fläschchen Reizgas gekauft hatte nicht wieder einmal betreten? Es wäre doch wirklich eine lustige Pointe, wenn ich diese Schuhe ausgerechnet in Westberlin finden würde. Und tatsächlich, bei Görtz stach mir sofort ein Paar schwarzer Chucks ins Auge, lackiert zwar, aber dafür echt.

Ohne die Aufmerksamkeit der anderen Kunden zu erregen fragte ich die Verkäuferin nach diesem Paar, und ob sie sie in meiner Größe und ohne Lack hätte. Sie klärte mich darüber auf, dass das Paar nicht zu verkaufen sei. Es gehörte einem Kunden, der gerade Schuhe anprobierte. „Die gibt’s hier also auch nicht?“ „Nein, hamwanich. Vielleicht in dem Laden gegenüber, da hab ich sie mal gesehen, allerdings nicht mit Lack. Und ich weiß auch gar nicht, ob es den Laden noch gibt.“

Ich fragte den Kunden, wo er seine her habe, er hatte sie irgendwann mal bei Karstadt gekauft, allerdings sei das zu lange her, um sich genauer zu erinnern. Ich eilte in den Laden gegenüber, und dort fand ich, was ich suchte, allerdings erst im letzten Moment, denn die Chucks standen so ungünstig, dass man sie erst beim Verlassen des Geschäfts entdeckte.

Ein absolutes Insiderprodukt, und ich hatte es aufgespürt. Es gab sie zwar nicht in meiner Farbe und nicht in meiner Größe und nicht als Knöchelschuhe, aber immerhin für nur 80 Mark, und früher oder später würden sie auch schwarz sein, und gepasst hatten mir meine Turnschuhe früher auch nicht. Es war überhaupt genau wie früher. Man sucht, man verzweifelt, man wird fündig.

Ist das jetzt Ostalgie, wenn meine Augen glänzen und ich nur noch auf meine Schuhe sehe? Und wonach kann man noch auf die Suche gehen, ohne es gleich zu finden? Bei Lidl war ich übrigens auch. Keine Schuhe, aber ein 30er Pack Bleistifte. Bevor die in Mode kommen, decke ich mich lieber für den Rest meines Lebens damit ein. Auf den Kapitalismus verlasse ich mich jedenfalls nicht mehr.

JOCHEN SCHMIDT