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Die Braut entkleidet sich

In den 70er-Jahren fiel Hannah Wilke mit ihren Strip-Performances bei Feministinnen in Ungnade. Die aggressiv zur Schau gestellte Weiblichkeit hatte Konzept: Eine Ausstellung im Berliner NGBK widmet sich der 1993 an Krebs verstorbenen Künstlerin

von BRIGITTE WERNEBURG

Ihr Start im Kunstbetrieb der 70er-Jahre war glamourös und provokativ. Denn sie war eine Schönheit, und von Anfang an hatte sie sich und ihren Körper zum Material ihrer Kunst gemacht. Doch es war ihr Spätwerk, ihr Sterben, das die Künstlerin aus der Marginalität rettete und die Aufmerksamkeit wieder auf sie lenkte. Auch im Titel der posthumen Ausstellung, die ihr die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst jetzt in Berlin eingerichtet hat, wird das einmal mehr deutlich: „Unterbrochene Karrieren. Hannah Wilke 1940 – 1993“.

Indem sie nicht aufhörte, mit ihrem Körper als dem Medium ihrer Kunst zu arbeiten – auch als der Lymphdrüsenkrebs ihn zerstörte –, überzeugte sie schließlich die Kunstwelt, dass ihr Beginn nicht nur in einer attraktiven Herausforderung bestand; dass ihr Werk den Anfechtungen der Zeit standhielt, weil es konzeptuell fundiert war. Der Kunstbetrieb schaute also noch einmal genauer hin, entdeckte ihre Arbeit neu und revidierte frühere Urteile. Tragisch: Weil die Krankheit Hannah Wilke zwang, das Konzept ihres Körpers als Quelle der Verführung in die andere Logik des physischen Martyriums zu überführen, war ihr Werk glaubwürdig geworden.

Das sagt viel über das noch immer einflussreiche christliche Erbe in der Kunst, das Hannah Wilke als Jüdin aber nicht teilen musste, auch wenn sie es 1974 in ihrer Christus-Adaption „Hannah Wilke Super-T-Art“ zitierte und parodierend reflektierte. Man könnte auch behaupten, es sage viel über die noch immer gültige patriarchale Macht: Erst eine tote Künstlerin ist eine gute Künstlerin – kam doch der Hochmut auch bei ihr vor dem Fall. Das wäre die feministische Sicht. Aber mit dieser hatte Hannah Wilke ihre Schwierigkeiten. Ein Plakat von 1977 zeigt sie in einer Schwarzweißfotografie in Jeans und offenem Hemd; über ihrer entblößten Brust hängt eine breite Krawatte in einem abstrakt-modernistischen Design, während auf dem schwarzem Umfeld des Fotos zu lesen steht: „Marxism & Art. Beware of Fascist Feminism“. Mit diesem Plakat konterte Wilke einen Artikel der damals zentralen Figur der feministischen Kunstkritik. Lucy Lippard hatte in Art in America das frauenbewegte Unbehagen an Wilkes Kunst so formuliert: Wilke erhebe gleichzeitig Anspruch auf „Flirt“ wie auf „Feminismus“.

Weiblicher Glückskeks

Wilke war über diese Unterstellung des Verrats zu Recht erzürnt. Ersichtlich prägte der feministische Aufbruch in der Kunst der 70er-Jahre ihre Arbeit, die ihn selbst mit angeschoben hatte. Die kleinen Keramikskulpturen, die wie die Glückskekse in chinesischen Restaurants aussahen, soft sculptures, abstrakte, biomorphe Gebilde in der Form des weiblichen Geschlechts, die sie dann auch aus Kau- und Radiergummi, Filz- und Wollflusen oder Latex formte, wollten dem Phallus Widerstand entgegensetzen. Schließlich rückte ihr Körper als Ausgangspunkt ihrer Arbeit immer mehr ins Zentrum: Sie setzte die Mösenskulpturen auf ihre nackte Haut und brandmarkte ihn tautologisch als weiblich. Ihre Foto-, Video- und Performancearbeiten müssen im Kontext der Arbeiten von Carolee Schneeman oder Judy Chicago und ihren europäischen Konterparts wie Marina Abramovic, Valie Export oder Ulrike Rosenbach gesehen werden. Trotzdem scheint nicht wirklich viel damit gewonnen, Wilkes Arbeiten in diesem Umfeld zu rechtfertigen. Denn tatsächlich überschreiten sie den Horizont damaliger, feministisch inspirierter Kunst. Es ist also keineswegs nur ihrem Spätwerk gedankt, dass Hannah Wilke wieder heftiges Interesse erfährt; es ist ihr Frühwerk, das sich heute besser erschließt als zu seiner Entstehungszeit, das fasziniert.

Gleich beim Betreten der Ausstellungsräume im Haus am Kleistpark, wo ihre ersten Arbeiten zu sehen sind, wird man auf einer großen Leinwand mit Wilkes Performance im Philadelphia Museum of Art 1976 konfrontiert. Wiederum ganz tautologisch entkleidet sie sich hinter Marcel Duchamps Großem Glas: „The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even“ – wie „The Large Glass“ auch betitelt ist. Zunächst mag diese Verdoppelung zu einfach erscheinen, zumal man nicht mehr zu erkennen glaubt als den üblichen Strip, dem nur Charles Strouse’ bekannte Erkennungsmelodie fehlte, um die Sache komplett zu machen. Doch es sind ebendiese bei Wilke immer wiederkehrenden redundanten Muster, die sie als Feministin ihrer Zeit gewissermaßen untauglich erscheinen lassen, dafür aber zur Vorläuferin eines späteren Gender-Diskurses machen. Indem Wilke Duchamp beim Wort nimmt, fällt plötzlich auf, dass hier nicht – wie damals einzig möglich – die weibliche künstlerische Arbeit problematisiert und zum Politikum erhoben wird, sondern dass umgekehrt der männliche Künstler auf dem Prüfstand steht.

Sie beherrschte ihren Körper zu gut, um in der Rolle des Lustobjekts auf- oder besser unterzugehen. Die Aneignung des eigenen Körpers im Sinne feministischer Politik konnte ihr nicht gelingen, denn sie besaß ihn schon – in absolut professioneller Manier, wie ihre Fotoserien „S.O.S. Starification Object Series“, 1974, oder „So Help Me Hannah: Snatch-Shots with Ray Guns“, 1978, belegen. Für dieses Vermögen wird man heute als Super Model gehypet. Auch hier war sie Vorreiterin: 25 Jahre später engagierte die Künstlerin Vanessa Beecroft professionelle Mode-Models für den Museumsraum und zeigte, dass das zweckgerichtete, keineswegs identifikatorische Posieren ein weibliches Berufsfeld ist, dessen Leistungen auch im Kunstzusammenhang abgerufen werden können.

Sexy Formalismus

Man möchte also Isabelle Graw zustimmen, die im Katalog eine weniger biografische als formalistische Betrachtungsweise von Wilkes Werk vorschlägt. Die Videoaufzeichnung einer Performance, die 1982 in der A.I.R. Gallery in New York entstand, zeigt, wie Wilke ausgesprochen minimalistisch, nur mittels ihres nackten Körpers und dem Accessoire einer kleinen Pistole den Kunstraum bearbeitet, definiert und gestaltet, indem sie sich dort in den „unmöglichsten“, also schamlosesten Posen bewegt. Dieser Körper ist kein biografischer Körper, sondern abstraktes, Zeichen setzendes, ästhetisches Material. Als solches ist er auch Politikum, aber nicht in der eindeutigen Form, wie sie der Feminismus einstmals forderte.

Natürlich war auch bei Hannah Wilke, konform dem Geist der 70er-Jahre, das Private politisch und die Biografie von der künstlerischen Arbeit nicht rundweg zu abstrahieren; zumal ihre Politik der Indiskretion selbst in diesen Zeiten ihresgleichen suchte. „Intercourse with ...“ (1977) hieß etwa eine Wilke-Performance, die ein Tonband begleitete, das die auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassenen Nachrichten verzweifelter Liebhaber preisgab, oftmals prominente Figuren des Kunstbetriebs. Dagegen scheint die Zelt-Installation „Everyone I Ever Slept With 1963 – 1995“ mit aufgestickten Namen harmlos, die Tracey Emin in der letztes Jahr in New York so umstrittenen „Sensation“-Ausstellung zeigte – meinte sie schlafen hier sogar völlig wörtlich, wie das Datum 1963, das Jahr ihrer Geburt, anzeigt. Wilkes Denunziation des männlichen Begehrens wie ihr gleichzeitiges Kokettieren mit ihm, ihre robuste Art, Intimität zum Ausstellungsobjekt zu machen, wogegen Claes Oldenburg Einspruch erhob, Richard Hamilton dagegen nicht, würde der Künstlerin heute, zumindest im Kontext der Popkultur und der Young British Art, den Titel Schlampe eintragen.

Schlampe ist der Begriff für eine weibliche Selbstinszenierung, der ein produktives Widerspiegelungsverhältnis anzeigt: die Übernahme der Schmähung und ihre Verwandlung in ein Wort des Selbstbewusstseins. Der Transfer funktioniert nach der tautologischen Methode, die Hannah Wilkes Arbeit kennzeichnet: „I Object: Memoirs of a Sugargiver“ heißt eine Arbeit von 1977, in der die Künstlerin Marcel Duchamps „Etant donnée“ nachstellt – zu lesen als „ich bin ein Objekt“ wie „ich widerspreche“. Was der Frau schlecht geschrieben wird, nämlich ihr Geschlecht, ist guter Grund, darauf alles Weitere zu bauen. Die Sacrification des Körpers, seine Brandmarkung mit Narben – bei Wilke mit kleinen Knetgummimösen symbolisiert –, sah sie in ihrer S.O.S-Serie als Starification, seine Starwerdung. Die Kritik warf ihr allerdings vor, diese Miniobjekte seien nicht genug Intervention gegen das Stereotyp des sexy inszenierten Körpers.

Die Intervention der modernen Apparatemedizin war dagegen natürlich gewaltig. Doch auch hier versuchte Wilke das Inventar des Krankenhauszimmers im Bild minimal zu halten. Kanülen, Schläuche und Pflaster, ja, aber kein Tropfhalter. „Intra-Venus“ nannte sie die Fotoserie „performalistischer Selbstporträts“, die ihr Lebensgefährte Donald Goddard zwischen 91 und 93 von ihr machte. Anders als bei vorangegangenen posthumen Ausstellungen, ist diese Serie in Berlin bis auf zwei Arbeiten erstmals komplett zu sehen. Kommt man vom Haus am Kleistpark zum zweiten Ort der Ausstellung, der NGBK-Galerie in der Oranienstraße, so erkennt man die Bilder, trotz des Schocks, die sie verursachen, sofort wieder.

Venus mit Kanüle

„Intra-Venus“, der Titel, dem die Behandlungsmethode der Chemotherapie, die intravenösen Infusionen, mit eingeschrieben ist, wiederholt nämlich die Posen von „So Help Me Hannah“, „S.O.S Starification“ und „Hannah Wilke Super-T-Art“. So baut sich Hannah Wilke in der „Intra-Venus Series # 3“ wieder in der typischen Pin-up-Pose auf, die sie in ihren früheren Arbeiten einnahm. Nur trägt sie, die ihr prachtvolles Haar vollkommen verloren hat, statt der weißen, hochhackigen Sandaletten, die zuvor ihr einziges Bekleidungsstück waren, Badelatschen aus weißem Frottee.

Es ist tatsächlich merkwürdig, wie die frühen Inszenierungen, etwa das provokative Pinkeln in die Toilette, in ihrer Wiederholung 14 Jahre später die letzten Bilder nicht einfach nur besonders grausam erscheinen lassen. Sie drängen gleichzeitig die Krankheitsgeschichte zurück oder heben sie, besser gesagt, auf. Angesichts der großen, 180 x 123 cm messenden Farbformate, erscheint es noch einmal richtig, Wilkes Körperinszenierung unter formalen Gesichtspunkten zu sehen. Obwohl schwach, stellt sie sich alleine vor die Kamera, erlaubt keine stützende, helfende Hand und zeigt, dass es um die Fortführung eines Konzepts geht, nicht um Reportage. Es geht weiterhin um Performance, unter Bedingungen der Krankheit, aber nicht um deren Dokumentation. Daher ist sie sich auch in diesen Situationen der Erotik ihres Körpers bewusst und spielt ganz offensichtlich den verbliebenen Rest Schönheit aus.

Sie verweigert sich letztlich dem, was nach Selbstauskunft der Kuratoren-Arbeitsgruppe der NGBK das Interesse an ihrem Werk entzündete, auch wenn sie es nicht verleugnet: dem Bild des leidenden Körpers. Die Einbeziehung der Arbeiten von Hannah Wilke in der Ausstellungsreihe „Unterbrochene Karrieren“ bedeutet insofern einen Schritt über das ursprünglich Ausstellungskonzept hinaus. Nicht mehr Aids ist die Krankheit, die eine Karriere unterbricht, sondern schlicht Krebs. Aids als Politikum eines gesellschaftlich umstrittenen Lebensstils sexueller Promiskuität oder Drogenkonsums konnte noch Märtyrer schaffen. Wilke gelang es bis zu ihrem Ende nur schlecht, sich als Opfer zu sehen. Das ist heute ihr Triumph und die wirkliche Rechtfertigung der großartigen Ausstellung der NGBK.

Bis 8. 10., Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin, Katalog 30 DM

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