Kindlicher Blick von außen

■ Die Vorschau: Aglaja Veteranyi liest heute Abend in der Stadtwaage aus ihrem Romandebüt: „Warum das Kind in der Polenta kocht“

„Warum das Kind in der Polenta kocht“: Das Romandebüt der 1962 in Bukarest geborenen Erzählerin Aglaja Veterayi, hat – dem gewaltsamen Titel zum Trotz – nichts mit dem Horror-Genre zu tun. Gemein mit manchen Beispielen dieses Genres ist dem Text aber sowohl die Erfahrung, was es bedeutet, als Fremder in eine Gemeinschaft zu kommen, wie auch die Umkehrung des Blicks auf das Phänomen des Ausgeschlossen-Seins. „An jeder Grenze werden wir anders behandelt als die richtigen Leute.“

Die Erzählhaltung ist paradox. Einerseits verleihen die kurzen, mitunter aphoristischen Gedankennotizen der Ich-Erzählerin, eines jungen Mädchens, das in einer rumänischen Zirkusfamilie aufwächst, dem Text Unmittelbarkeit. Andererseits ist auch (zeitliche und reflexive) Distanz spürbar. Es ist, als würde sich das Mädchen, zwischenzeitlich erwachsen geworden, seine Kindheit nochmal in Erinnerung rufen. Erzählerisches Mittel ist eine Art Rekonstruktion der kindlichen Naivität. Die führt aber nicht dazu, ein allzu idyllisches Bild von dieser so gar nicht mainstreamigen Biografie zu zeichnen. Vielmehr gelingt es so, das Unverständnis, mit dem das Mädchen den Ausgrenzungen gegenübertritt – als „Ausländerin“ und als Teil der „faszinierend-fremden“ Zirkuswelt – begreiflich zu machen. Die Alternative wären erwachsene Erklärungsversuche, die ein hohes Maß an Reflexion erforderten. Veteranyi geht den anderen Weg, wodurch es ihr gelingt, eine kindliche Erfahrungs- und Wahrnehmungswelt zu vermitteln.

Verstörend ist dabei nicht allein der Inhalt, sondern auch die poetisch-surreale Redeweise der Ich-Erzählerin. „Ich lasse meine Haut auf den Boden fallen“ oder „Ich träume, dass meine Mutter stirbt. Sie hinterlässt mir eine Schachtel mit ihrem Herzschlag.“ Die Eltern bilden das Zentrum im Familienuniversum. Papa ist „klein wie ein Stuhl“, die Mutter eine Artistin mit “Haaren aus Stahl“, die Onkel und Tanten und die Großmutter, die „zuhause vor Kummer und Sehnsucht gestorben“ ist – vieles erinnert an die sentimental-groteske Erzählweise des Regisseurs Emir Kusturica. Wohl kein Zufall, dass einem dazu so viele Filme einfallen, etwa David Lynchs „Elephant Man“ – die Welterklärungen des Mädchens funktionieren über ausufernde Bildlichkeit. Atmosphärisch dicht und zugleich brüchig erzählt Veteranyi. Eine ungewohnte Lektüre, bei der man sich nie auf die sichere Seite des Betrachters zurückziehen kann. T.S.

Heute 20 Uhr, Stadtwaage