Letzter Ausweg Babyklappe

Vierzig Kindstötungen gab es 1999 in Deutschland, zwei davon in Berlin: Eine „Babywiege“ im Krankenhaus Waldfriede bietet nun Müttern, die keine werden wollten, eine menschliche Alternative

von INGRID GEGNER

Eine schlichte neonfarbene Klappe soll zukünftig Leben retten. Im Krankenhaus Waldfriede können Mütter ab heute anonym ihre Neugeborenen abgeben, wenn sie sich nach der Geburt entschließen, sie nicht behalten zu wollen.

„Wir sehen darin eine gesellschaftliche Verpflichtung“, sagt Siegbert Heck, Chefarzt der gynäkologischen Abteilung. Es handelt sich um die erste deutsche Klinik mit Babyklappe an der Hauswand. Klappen in Hamburg, Amberg und Schönau sind an Kindertagesstätten angeschlossen. Als christliches Krankenhaus müsse man sich besonders „um die Fälle kümmern, in denen Geburt kein Glücksfall ist“.

1999 wurden 40 Neugeborene in Deutschland getötet. In Berlin wurden zwei Fälle bekannt. Auf dem Dachboden eines Wohnhauses in Neukölln entdeckte man im Oktober die verweste Leiche eines Säuglings. Ein paar Tage danach fand ein Rentner ein totes Baby in Kreuzberg: Endstation Mülltonne, zwei Stunden nach der Geburt erwürgt.

Die gewärmte Babybox ist an der Hauswand des Krankenhauses angebracht. Kurz nach Abgabe löst ein Sensor Alarm aus, damit sich die Frau anonym entfernen kann. Schon während der ersten Untersuchungen wird das Jugendamt informiert. Die Behörde vermittelt eine Pflegefamilie und leitet die Adoption ein.

Zu wenig Geld, Drogensucht, Angst vor der Reaktion im Elternhaus: viele Gründe gibt es für heimliche Entbindungen. Manche muslimische Frauen müssten sogar um ihr Leben fürchten. „Deshalb ist es besonders wichtig, dass die in Not geratenen Frauen anonym bleiben und nicht aktenkundig werden“, sagt Initiatorin Gabriele Stangl, die Pastorin ist. Das Krankenhaus wird Frauen nicht verfolgen. Da ist man sich mit Jugendamt und Staatsanwaltschaft einig. Die Abgabe des Kindes in einer Kinderklappe gilt juristisch nicht als Aussetzung und ist somit auch keine Straftat.

Stangl versteht die Kinderklappe als letzten Schritt. Um diesen möglichst zu verhindern, sollen schwangere Frauen durch ein Info-Telefon beraten werden. „Wir wollen hier keine Kinder einsammeln“, sagt Gynäkologe Heck. Es gehe nur darum, in Notsituationen zu helfen. Deshalb unterstützt er auch die „anonyme Geburt“: Frauen sollen in der Klinik gebären dürfen, ohne ihren Namen nennen zu müssen. „Das ist leider rechtlich noch nicht möglich“, bedauert Heck. Eine Frau, die ihr Kind im Wald oder in einem Keller zur Welt bringt, kann schließlich auch verbluten.

Gabriele Stangl, die das Projekt ins Leben rief, geht es um nichts anderes als das Menschenleben. „Wir haben noch nie eine Abtreibung in diesem Krankenhaus vorgenommen“, verkündet sie stolz. Insofern ist die Babywiege auch als Alternative zum Schwangerschaftsabbruch gedacht.

„Babywiege“ am Krankenhaus Waldfrieden, Argentinische Allee 40, 14163 Berlin, Infonummer: (0 30) 81 81 03 35