„Wir zeigen auch, was fehlt“

In einem Jahr soll erstmals im Jüdischen Museum eine Ausstellung zu sehen sein. Der Neuseeländer Ken Gorbey, seit April Projektdirektor des Museums, ist trotz Zeitnot guter Hoffnung. Die Leerräume des Hauses sollen Teil der Ausstellung werden

Interview PHILIPP GESSLER

taz: In einem Jahr will das Jüdische Museum seine Pforten öffnen. Gleichzeitig sind andere Museumsdirektoren, etwa Hermann Simon vom Centrum Judaicum, skeptisch, ob es in so kurzer Zeit überhaupt möglich ist, das Museum zu füllen – ist diese Skepsis berechtigt?

Ken Gorbey: Wir beginnen nicht erst heute mit der Arbeit. Ich kann verstehen, wenn die Leute sagen, dass man die Öffnung in einem Jahr nicht erreichen kann. Da kann ich nur antworten: Wir sind als Team dem Ziel verschworen, es zu schaffen. Wir werden nicht scheitern. Da ist eine Leidenschaft bei allen Angestellten, den Zeitplan einzuhalten. Wir werden es schaffen.

Warum hat der stellvertretende Direktor des Museums, Tom Freudenheim, Ende Juni das Haus verlassen?

Er hat seinen Vertrag nicht verlängert. Ich bin nicht sein Ersatz. Das waren zwei verschiedene Aufgaben. Tom Freudenheim baute das Museum auf, wählte Personal aus und organisierte das Museum. Ich bin hier, um die Eröffnung zu managen – das war nicht Toms Job.

Es soll Differenzen zwischen Direktor Michael Blumenthal und Freudenheim darüber gegeben haben, ob die Eröffnung in so kurzer Zeit zu schaffen ist.

Ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten.

Manche sagen, dass man möglichst schnell einen „indoor director“ braucht, der jetzt schon Arbeit übernimmt und für Kontinuität sorgt, wenn Herr Blumenthal und Sie in einem Jahr fertig sind.

Das ist absolut nötig, aber noch nicht jetzt. Eines Tages werden Blumenthal und ich gehen – und dann muss schon vorher jemand da sein. Und zwar jemand, ein Direktor, der diesen Ort in die operative Phase führt.

Gibt es da schon Namen?

Nein, und wenn es welche gäbe, würde ich sie nicht nennen.

Von mehreren Seiten, etwa von Jochen Boberg, dem Leiter des Museumspädagogischen Dienstes, ist zu hören, es gebe so gut wie keine Kooperation mit den anderen Museen in der Stadt.

Die wird sicherlich jetzt beginnen. Vor wenigen Wochen haben wir die Liste der Exponate praktisch abgeschlossen, die wir haben wollen. Das ist eine Wunschliste, zusammengestellt von unseren Rechercheuren. Wir werden festlegen, was unsere ersten, zweiten, dritten Prioritäten sein sollen. Jetzt werden wir Kontakt aufnehmen mit anderen Museen. Weil wir diese Kooperation brauchen werden. Jedes Museum, das solch ein Projekt meistert – und das kann ich Ihnen sagen als jemand, der schon viele Projekte dieser Art gemacht hat –, hat eine Phase, in der die Arbeit so konzentriert ist auf ein Ziel, die Eröffnung, dass es still wird um das Museum. Aber diese Stille ist eine Stille der Konzentration von allen Mitarbeitern mit dem Ziel, das Haus zu eröffnen. Ich habe diese Kritik schon oft gehört: am „Te Papa“-Museum in Neuseeland, am „Museum of Civilisation“ in Kanada. Das Jüdische Museum ist ein Projekt, mit dem man nur einmal im Leben betraut wird. Da gibt es außergewöhnlichen Druck bis zur Eröffnung. Und jeder schaut drauf.

Fühlen sich manche Museen sogar geehrt, Ihnen Leihgaben zu geben, da das Jüdische Museum in Berlin eines der bedeutendsten in Europa, ja in der Welt zu werden scheint?

Ja, und diese Angebote nutzen wir auch.

Der Gründungsdirektor des Jüdischen Museums in Wien und Leiter des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam, Julius Schoeps, hat beklagt, dass der Markt von Exponaten jüdischen Ursprungs leer sei. Und deshalb sind sie teuer.

Zum Teil ja. Viele der Dinge, die man gern im Museum hätte, sind auf dem offenen Markt und erfordern viel Geld. Aber das ist nur der eine Teil: Das hier ist ein Geschichtsmuseum. Teil der Geschichte ist, dass das kulturelle Eigentum, die Sammlungen, die Schätze dieser speziellen Gruppe von Menschen – die Juden in Deutschland – schrecklich gelitten haben unter den Turbulenzen der Geschichte, insbesondere natürlich den zwölf Jahren der Nazizeit. Damals ging nämlich eine Menge der Güter, von denen man erwartet hätte, dass sie das Museum füllen, dem Reichtum der Zivilisation verloren: Entweder verschwanden sie, wurden zerstört, zerbombt oder nach Übersee gebracht. Ein Teil der deutsch-jüdischen Geschichte in unserem Museum wird davon geprägt sein, zu zeigen, was fehlt und warum es fehlt. Außerdem: Was macht Objekte wichtig? Wir konzentrieren schon jetzt viel Wissen und Forschung auf die Rekonstruktion dessen, was fehlt. Aber was passierte mit diesen Werten, mit ihrer Bedeutung? Die Dinge fehlen, aber die Werte bestehen fort. Wir haben viele Geschichten dieser Art. Während die Erinnerungen noch stark sind, hängen die Herzen nur noch an den Gegenständen, an Fotos, an einem Schal. Das ist ein Teil der Geschichte, die wir zeigen.

Nimmt das Museum in seiner Sammlung das Prinzip der voids, der Leerräume des Architekten Daniel Libeskind, auf?

Genau. An dieser Stelle verzahnen sich die voids von Libeskind und die Forschung des Museums. Das ist eine der wichtigen Geschichten, die dieses Museum erzählen kann mit seiner Architektur, seiner Ausstellung und seiner Forschungsarbeit.

Reicht es für ein Objekt schon, von einem Juden gemacht zu sein, um in Ihrer Sammlung zu landen? Reicht es also, dass ein Bild lediglich von einem jüdischen Maler stammt, um im Jüdischen Museum ausgestellt zu werden, obwohl das Gemälde nur Äpfel und Pferde zeigt?

Ich finde, das reicht. Wir reden doch darüber, was einem Gegenstand einen Wert gibt. Wenn es beispielsweise nur ein Bild von Äpfeln ist: Das hat viele Bedeutungen, die verbunden sind mit dem Ästhetischen – dass es eben schön ist, ein großes Stück Kunst. Aber ein anderer Wert an dem Gemälde kann sein, dass es von einem Maler mit einem jüdischen Hintergrund stammt. Welcher Art war dieser Hintergrund? Wie jüdisch war er? Hat er sich vor allem als Deutscher verstanden, wie es so viele deutsche Juden taten? Dies sind Werke, die erklärt werden können und uns etwas erzählen. Zurück zu ihrer Frage: Ja, dieses Exponat hätte Platz in unserem Museum.

Sie sind bekannt dafür, viel Multimedia einzusetzen. Blumenthal hat kürzlich angekündigt, im Museum werde es neben Bildern an der Wand auch Filme, Multimedia-PCs, Klanginstallationen und ein interaktives Informationszentrum geben. Besteht angesichts des sensiblen Themas des Museums nicht die Gefahr, dass die Ausstellung zu Disneyland-mäßig werden könnte?

Wenn Leute diesen Begriff „Disneyland“ nutzen, dann verweisen sie damit auf amerikanische Konzepte, Konzepte großer Konzerne oder Markenzeichen, eine kommerzielle Welt, und eine Welt der Phantasien. Ich dagegen sage: Solange wir exzellentes Fachwissen haben, können wir jedes Medium, auch Multimedia-Möglichkeiten der Informationstechnologien, für unsere Zwecke nutzen. Die hiesigen großen Bibliotheken und Museen nutzen sie, da dies eine hervorragende Möglichkeit ist, Information zu nutzen, zu strukturieren und zu liefern. Und das ist es doch, was die Basis unserer Aufgabe ist: Wir sind eine erziehende Institution, gegründet auf Fachwissen, eine Einrichtung, die die Informationen zur Verfügung stellt, die wir haben. Es ist falsch, uns den „Disneyland“-Vorwurf zu machen – das sind wir nicht.

Wie viele Bildschirme wird es denn im Museum geben?

Das kann ich nicht genau sagen: Im Lernareal werden etwa 20 Terminals stehen. In der Ausstellung vielleicht so etwa 40. Aber, um Gottes willen, bitte vermitteln Sie nicht den Eindruck, dass dies ein Museum der Bildschirme wird. Wir haben doch alle genug von Bildschirmen: Wir sitzen jeden Abend vor ihnen, wenn wir Fernsehen gucken. Aber wenn wir sie richtig nutzen, können wir Informationen in einer aufregenden Art und Weise vermitteln. Dann würde es perfekt in die Umgebung, unsere Ausstellung, passen.

Nur wenige dreidimensionale Objekte sind nach dem Holocaust noch vorhanden. Muss man sie teuer auf dem Markt kaufen?

Das ist kein Holocaust-Museum. Aber der Holocaust ist ein Teil der Geschichte, die wir erzählen. Wir werden nicht vor allem auf die Geschichte des Holocaust schauen, sondern auf die Reaktion der Juden auf die Nazifizierung der Gesellschaft. Es gibt da ein kleines Handtuch. Das stammt von einer Familie, die durch die Nazis auseinander getrieben wurde. Der Sohn emigrierte 1939 mit einem Kindertransport nach England, später in die USA. Die Schwester und die Mutter blieben in Berlin. Die Schwester überlebte, irgendwo versteckt, die Mutter wurde ermordet. Das Handtuch war das einzige Objekt, das der Sohn noch von seiner Mutter bekam. Für uns ist das ein Meisterwerk. Für unser Museum wird dieses Handtuch der Mittelpunkt einer sehr aufwühlenden menschlichen Geschichte sein. Ja, wir gehen auf den Markt und kaufen wertvolle Güter – aber dieses Handtuch allein ist schon unglaublich wertvoll. Der Wert dieses Handtuchs ist jenseits dessen, was Geld ausdrücken kann.

Gibt es genügend Austausch mit den anderen beiden bedeutenden NS-Gedenkorten hier in Berlin: der Stiftung für das geplante Holocaust-Denkmal und der Topographie des Terrors?

Der Chef der Topographie des Terrors, Reinhard Rürup, hat enge Kontakte zu uns – er ist Mitglied unseres Wissenschaftlichen Beirates. Wir tauschen Informationen und Exponate mit dem Centrum Judaicum aus. Auch mit Kulturstaatsminister Michael Naumann und mit der Mahnmalsstiftung gibt es einen regen Austausch.

Haben die Leiter der drei Institutionen keine Angst, dass das Jüdische Museum eine weitere Holocaust-Gedenkstätte werden könnte?

Nein. Wir bilden 2.000 Jahre jüdische Geschichte ab – der Holocaust ist nur ein Teil davon. Das ist alles differenziert und einzigartig. Jede dieser Institutionen hat ihre eigene Bestimmung, und die ist ganz klar. Die anderen Institutionen sind gut darüber informiert, was wir machen.