Und alle brauchen Hollywood

Die Debatte um Mediengewalt holt wieder mal die US-Präsidentschaftswahlen ein

WASHINGTON taz ■ Die US-Präsidentschaftskandidaten haben ein neues – und eigentlich ganz altes – Wahlkampfthema: Gewalt in den Medien. Am Montag hat eine Regierungskommission einen Bericht präsentiert, der die Unterhaltungsindustrie beschuldigt, ihre eigenen Regulatorien zu unterlaufen.

Die Kommission untersuchte als jugendgefährdend eingestufte mediale Produkte und deren Zielgruppe und fragte die Produzenten nach ihren Marketingstrategien. Von 44 untersuchten Filmen etwa, die als gewalttätig und jugendgefährdend eingestuft waren, richteten sich 35 an Jugendliche unter 17 Jahren, die Marketingstrategien von 28 dieser Filme waren ganz explizit auf Jugendliche unter 17 abgestellt. Bei indizierten Musiktiteln und Videospielen gab es ähnliche Ergebnisse.

Anlass Schul-Massaker

Präsident Bill Clinton hatte die Untersuchung nach dem Massaker vom Juni 1999 in Auftrag gegeben, als zwei Teenager in einer Schule zwölf Schulkameraden getötet und zwei verletzt hatten, bevor sie sich selbst das Leben nahmen. Ausgehend von der – auch in den USA überaus umstrittenen – Theorie, dass Gewalt in den Medien geeignet sei, gewalttätiges Verhalten bei Jugendlichen zu fördern, sollte untersucht werden, ob die Industrie Produkte, die sie selbst als jugendgefährdend einstuft, an Orten vermarktet, die vor allem von Jugendlichen frequentiert werden. Und ob die Werbung für solche Produkte sich explizit an Jugendliche richtet. „Die Antwort,“ heißt es im Prüfungsbericht, „ist ein klares Ja.“

Die absolute Gültigkeit des First Amendment, jenes ersten Verfassungszusatzes also, der die Meinungsfreiheit garantiert, hat es in der Vergangenheit unmöglich gemacht, solche Inhalte gänzlich aus dem Verkehr zu ziehen – genau wie Nazi-Literatur und so genannte „Hate-Sites“ im Internet. Die Studie, so meinen Verfassungsexperten, könnte den Kritikern jedoch eine neues Instrument gegen die Industrie in die Hand geben: Wenn die Industrie gleichzeitig auf freiwillige Selbsteinstufung ihrer Inhalte verweist, ihre Werbestrategie aber gänzlich anders ausrichtet, macht sie sich der betrügerischen Werbung schuldig und kann dafür auch belangt werden.

Diesen Ball hat sowohl der derzeitige Präsident in seiner ersten Reaktion auf die Studie aufgenommen – wohl nicht zufällig ausnahmsweise einmal wieder Seite an Seite mit seiner wahlkämpfenden Ehefrau Hillary forderte er die Industrie auf, die Praktiken schnellstens abzustellen. Sein Vizepräsident, Kandidat Al Gore, hatte schon einen Tag vor der offiziellen Veröffentlichung der Studie der Industrie ein Ultimatum von sechs Monaten gesetzt, um ihre Werbepraxis zu ändern.

Geld aus Hollywood

Kritik kam prompt von seinem Kontrahenten George W. Bush, der Gore in dieser Frage für wenig glaubwürdig hält, erhalte der doch Millionen Dollar Wahlkampfhilfe insbesondere aus der Filmindustrie. Tatsächlich soll Gore, dessen Ehefrau sich vor Jahren schon damit profiliert hatte, die „explicit content“-Aufkleber auf Musik-CDs durchzusetzen, von der Studie wenig begeistert gewesen sein, als sie 1999 in Auftrag gegeben wurde. Damals führte ihn sein erster Gang angeblich schnurstracks zu seinen Unterstützern in Hollywood, um ihnen zu versichern, er habe damit nichts zu tun.

Ob die ihm seinen plötzlichen Sinneswandel übelnehmen, könnte sich bald zeigen: In dieser und in der nächsten Woche sind große Fundraising-Veranstaltungen geplant, die der Gore-Lieberman-Kampagne Geld in die Wahlkampfkassen bringen sollen. Hauptattraktionen sind die Stars aus Hollywood.

BERND PICKERT