Chinas heimliche Helden

In der Volksrepublik China bläst die Kommunistische Partei mit einem Propagandafilm zum Kampf gegen korrupte Kader. Der Film ist so schonungslos wie nie, doch ab heute zeigt ein Prozess in Xiamen, dass die Realität noch viel schlimmer ist

aus Peking GEORG BLUME

Ob im Film oder in Wirklichkeit – die Landschaften des Verbrechens in China ähneln sich. Zwischen Drachenkopf- und Tigerkopfberg, wo die alte südchinesische Hafenstadt Xiamen im Wirtschaftsboom der Reformära neu aufgeblüht ist, beginnt heute der Prozess in Chinas größtem Schmuggelfall. In einer nicht weniger bezaubernden Landschaft, vor tiefblauen Pazifikbuchten und weißen Wolkenkratzern, spielt derweil ein neuer Antikorruptionsfilm. Der Kadern von der Parteiführung nahegelegte Streifen über einen fiktiven Bestechungsskandal in der Textilbranche hatte kurzer Zeit bereits über 50 Millionen Zuschauer.

Prozess und Film haben ein altes Thema: die massive Korruption im Apparat der Kommunistischen Partei. Neu ist, wie offen das Thema ausgebreitet wird. Statt das Lästern dem Volksmund zu überlassen, entschied die KP, die Debatte offensiv in die Gesellschaft zu tragen. Einerseits zwangen tausende Protestaktionen von Bauern und Arbeitern gegen korrupte Provinzkader die Parteiführung in diesem Jahr, dem Thema nicht länger aus dem Weg zu gehen. Andererseits ist die Lage günstig: Nach der Asienkrise hat Chinas Wirtschaft in den Küstenregionen wieder Fuß gefasst und im Export Wachstumsraten um 40 Prozent. Wenn die Bevölkerung Korruptionsopfer fordert, dann zollt die Partei sie am besten jetzt und zwar dort, wo China am reichsten ist: zum Beispiel in Xiamen.

Die Wirklichkeit hat in der Hafenstadt den Film überboten. Hauptangeklagter im Xiamen-Prozess ist der Unternehmer Lai Changxing. Der Lokalheld schaffte es, mit den im Schmuggel verdienten Milliarden die Fußballmannschaft seiner Stadt in die Erste Liga zu befördern. So mussten 200 Inspektoren und ein Richter aus Peking eingeflogen werden, damit ab heute im Xiamener Volksgericht ein Exempel statuiert werden kann.

Es geht um Schmuggel von Öl, Autos und Elektronik im Wert von umgerechnet 25 Milliarden Mark. Man ahnt: Halb Xiamen war bestochen, alle voran die Fußballfans. Nun könnten dafür vier Angeklagte, darunter der oberste Zollwächter, vor den Henker kommen. Erstmals soll auch ein hoher Offizier der Volksbefreiungsarmee wegen Korruption angeklagt werden.

Im Film gibt es am Ende drei Todesurteile. Doch nicht die größten Sünder erregen hier die Gemüter. Denn der Streifen „Entscheidung auf Leben oder Tod“ ist vor allem ein Familiendrama. Filmheld Li Gaocheng dient als Bürgermeister einer reichen Küstenmetropole und entdeckt, dass nicht nur seine ehemaligen Fabrikkollegen, sondern seine ganze Familie bis hin zur geliebten Ehefrau ein feines Netz der Korruption um ihn herum gesponnen haben.

„Überzeugend ist das Porträt kollektiver Korruption“, schrieb Hongkongs South China Morning Post über den Film. Er bereitete der Propagandaabteilung der Partei anfangs große Kopfschmerzen. Inzwischen ist er Teil einer Propagandakampagne, weshalb die meisten Kinogäste von ihren Arbeitseinheiten Freikarten erhalten.

Ob sich die Chinesen von Film und Prozess beeindrucken lassen? „ ‚Entscheidung auf Leben oder Tod‘ ist realistischer als die alten Propagandafilme“, urteilt ein junger Angestellter nach einer Vorführung in Peking. „Aber nicht die Korruption, sondern die wirtschaftliche Entwicklung ist unser größtes Problem.“

Seine Ansicht stützt die Beobachtung, dass viele Chinesen zwar Gift und Galle auf ihre korrupte Partei spucken, aber es mit den Gesetzen selbst nicht allzu genau nehmen. Auch im Film ist schließlich Lis korrupte Frau die heimliche Heldin: Ihr erschwindeltes Geld benötigt sie für die Versorgung der behinderten Tochter. Macht am Ende drei Jahre Freiheitsentzug.