Ein Land kommt unter die Räder

Wie die LKW-Flotte Umwelt und Straßen zerstört und sich illegale Wettbewerbsvorteile verschafft

BERLIN taz ■ In Europa probt eine machtvolle Branche den Aufstand. Mit 440.000 Unternehmen und 1,7 Millionen Mitarbeitern hat der Güterkraftverkehr in Europa zuletzt einen Jahresumsatz von 140 Milliarden Euro erzielt. Das Geschäft boomt. Vom Gütertransport in Deutschland entfallen 84 Prozent auf den Lkw-Verkehr, der Anteil der Bahn ist von 38 Prozent in den 60er-Jahren aufunter 10 Prozent gefallen.

Die Kehrseite dieser Entwicklung kennt jeder Verkehrsteilnehmer: Verstopfte Autobahnen, Staus, Karambolagen, verpestete Luft und löcherige Straßen. Die Lasterkolonne verursacht dramatische Schäden. Ein einzelner überladener 40-Tonner, so die Faustregel, macht so viel Straßenschäden wie 60.000 Pkws. Wie Presslufthämmer stampfen die Laster Spurrillen in die Straße. In Großstädten werden ganze Kanalsysteme durch die oberirdischen Stoßwellen ruiniert.

Immer wieder verschaffen sich die Brummer illegale Wettbewerbsvorteile gegenüber der Bahn. Manipulation und Betrug sind weit verbreitet. Günther Hanreich, Direktor für Landverkehr beim europäischen Verkehrskommissar, moniert, dass die Vorschriften für den Lkw-Verkehr von vielenTransport-Unternehmen „geradezu systematisch missachtet“ würden. Ob höchstzulässige Lenkzeiten oder Ladegewichte, Ruhepausen oder Höchstgeschwindigkeit – überall sieht Hanreich chronische Zuwiderhandlungen und dadurch unfaire Wettbewerbsvorteile. Die fälligen Strafgebühren seien von den Spediteuren bereits einkalkuliert.

Der Karlsruher Verkehrswissenschaftler Werner Rothengatter sieht die Entwicklung schon längst „in die falsche Richtung“ laufen. Seit der europäischen Liberalisierung im Jahr 1985, so Rothengatter vor Verkehrsexperten der Friedrich-Ebert-Stiftung, sei das Lkw-Aufkommen geradezu explodiert, von „unfairen Wettbewerbsverzerrungen“ angetrieben. Müsste der Lkw-Verkehr die von ihm verursachten externen Kosten selbst tragen, könnte die Branche nur durch massive Subventionen am Leben erhalten werden. Lärm, Unfälle, Luftverschmutzung, Landschaftsverbrauch, Emissionsschäden an Natur und Kulturgütern – die Bahn sei hier nur für 1,7 Prozent der Misere verantwortlich. Lastwagen und Autos verursachten dagegen mehr als vier Fünftel der Schäden. Nur durch die Abwälzung der Kosten auf die Gesellschaft könne der Güterschwerverkehr seinen Marktvorsprung halten.

Nach Zahlen des Berliner Umweltbundesamtes ist der Lkw Hauptverursacher von Lärm und Abgasen. Zwei Drittel des Gesamtausstoßes von 400.000 Tonnen Stickoxiden gehen aufs Konto der Lastwagen. Beim Ausstoß Krebs erzeugender Partikel ist der Lkw für 17 von 25 Kilotonnen Partikelemissionen verantwortlich, also ebenfalls für rund zwei Drittel der Gesamtmenge.

Übersehen wird in den Umweltbilanzen gern, dass die Lastwagen auch Killer sind. Während bei den Pkw-Unfällen die Zahl der Toten abnimmt, steigt sie bei Crashs mit Lkw-Beteiligung. Zuletzt starben dabei 1.700 Menschen jährlich.

Trotz dieser Horrorzahlen floriert die Branche, dem Lkw-Verkehr wird weiter Wachstum prophezeit. Ändern wird sich das erst, so glauben Verkehrswissenschaftler, wenn die Politik Chancengleichheit zwischen Straße und Schiene herstellt. Wichtigste Voraussetzung: Der Lkw-Verkehr muss, etwa über die geplante Schwerverkehrsabgabe, stärker belastet werden. MANFRED KRIENER