Angst vor der eigenen Courage

Einige Lkw-Fahrer würden gern blockieren. Aber die Verbände wollen sie nicht „ins Messer laufen lassen“. Es drohen Regressforderungen der Industrie

von MATTHIAS URBACH

In Großbritannien blieben gestern rund 3.000 Tankstellen dicht, weil der Sprit fehlte, noch immer blockierten Fernfahrer Raffinerien. Premier Toni Blair ließ sich von der Königin mit Sondervollmachten ausstatten und rief zur Krisensitzung. Und in Belgien blockieren Lastwagenfahrer weiter Tankdepots und Zufahrtsstraßen in der Hauptstadt Brüssel. Vorbild für Deutschland?

Seit Tagen beschwören Boulevardblätter das Herüberschwappen der Protestwelle, die in Frankreich begann. Hier gebe es eine andere Protestkultur als in Frankreich, versuchen sich Politiker zu beruhigen. Aber das galt auch für Großbritannien.

Und so hoffen Ökosteuer-Gegner in Oppositionsparteien wie in den Redaktionsstuben auf den Zorn der „Brummis“. Bild beobachtet eine „Schlacht um die Ökosteuer“. Die Berliner B.Z. machte gestern auf mit „Benzinpreis runter oder 3.000 Brummi-Fahrer blockieren Berlin“. Viel Substanz ist hinter der Schlagzeile freilich nicht zu finden. B.Z.-Kronzeuge ist Gerhard Ostwald, Geschäftsführer des berlin-brandenburgischen Spediteurverbandes. Den zitiert das Blatt aber bloß mit den Worten: „Ich denke, es wird eine Sternfahrt geben. Wenn erst 2.000 bis 3.000 Lkw auf Berlin zurollen, wird es eng.“

Von der Sensationslust mancher Blätter sind auch die Spediteure überrascht. So rieb sich der Pressesprecher des Bundesverbandes Spedition und Logistik (BSL), Ingo Hodea, die Augen, als er nach einem Gespräch seines Chefs mit Bild die Schlagzeile las „Brummi-Chef droht: Wir sind nicht länger die Papiertiger“. „Wir wollen ja keinen bedrohen“, sagt Hodea, „wir wollen ein Zeichen setzen.“ Zwar gebe es Einzelne, die bereit seien zu Aktionen „wie in Frankreich“. Aber die werden besänftigt. „Die darf man nicht ins offene Messer laufen lassen“, sagt Hodea.

Dabei haben die Spediteure nicht nur Angst vor der Polizei. Weil immer mehr Unternehmen auf Lagerhaltung verzichten und sich die Bauteile Just-in-time liefern lassen, können schnell hohe Schadenersatzforderungen auf mögliche Blockierer zurollen. Einige Unternehmen lassen sich gar schriftlich zusichern, dass ihre Spediteure nicht an Streiks oder Blockaden teilnehmen.

Doch die Empörung unter den Fahrern und Spediteuren ist groß. Vielen gilt Rot-Grün als Feindbild schlechthin. Heute will das Präsidium des Bundesverbands Güterkraftverkehr und Logistik (BGL), der anders als der BSL vor allem die Kleinspediteure und Lastwagenunternehmer vertritt, über größere Aktionen beraten. Angespornt von der öffentlichen Anteilnahme ist eine Protestfahrt auf Berlin wahrscheinlich. Anschließend soll mit dem BSL und Omnibusverbänden geredet werden, um sie einzubinden. Auch der Bauernverband plant Proteste – obwohl der Agrardiesel subventioniert wird und von der Ökosteuer befreit ist.

Gestern fuhren bereits 50 Taxifahrer und 25 Busse gemeinsam mit 100 Lastern durch Saarbrücken. Die Militanz erschöpfte sich zwar im Hupen, eindrucksvoll ist so ein Aufmarsch dennoch. Das wäre er erst recht in Berlin – falls sich genug beteiligten. Denn vor allem die vielen kleinen Subunternehmer, die ihren Laster unter der Knute der Spediteure auf eigene Rechnung fahren, werden sich diesen Abstecher kaum leisten können.

Bisher gibt es kaum Beispiele für die direkte Reaktion auf den Druck der Straße. Vor dreieinhalb Jahren allerdings drängten Bergarbeiter nach Bonn, zerschlugen ein paar Scheiben und zwangen so Helmut Kohl, die Kohlesubventionen höher anzusetzen als geplant.

Damals wie heute setzte sich die Opposition für die Protestler ein. Doch da hören auch schon die Vergleiche auf. Anders als die streng organisierten Bergarbeiter ist das Transportgewerbe zersplittert. Anders als die Bergarbeiter, die in Köln am Müngersdorfer Stadion die Verhandlungen abwarteten und drohten wiederzukommen, können sich Lkw-Fahrer und Spediteure so viel Zeit nicht nehmen.

Die Regierung ist zum Durchhalten entschlossen. Nachdem sich beinahe alle Minister erklärt haben, kann sie es sich nicht mehr leisten, bei der Ökosteuer einzuknicken. Aber vielleicht gibt sie ja anderswo eine kleine Entlastung – spätestens zu den Landtagswahlen im kommenden Jahr.