Löwenherzen

„Songs: Ohia“, die Kraft der Stille und eine Zukunft amerikanischen Folks  ■ Von Gregor Kessler

Heute hofft niemand mehr ernsthaft auf die Einheit aus Mensch und Werk. Und doch irritiert die Kraft, mit der die Ambivalenz zwischen der Bio- und Diskografie Jason Molinas leuchtet. In den letzten fünf Jahren schrieb der schmächtige Mann hinter dem kryptischen Namen Songs: Ohia ein paar der steinerweichendsten Vollholz-Neo-Folk-Balladen, seit Will Oldham uns beibrachte, dass Palace Brothers kein orientalisches Dienstleistungsunternehmen ist.

In einem früheren Leben, Anfang der 90er-Jahre spielte Jason Molina auf billigen Gitarren in schlechten Heavy-Metal-Bands und versuchte angestrengt die Stimmlage eines Ozzy Osbourne zu erreichen. Schmierige Gitarrensoli und gelocktes Haupthaar sind verschwunden, geblieben eine Stimme, die sich beizeiten zu einem flatternden Falsetto aufschwingt, bereit, auf einem fest angeschlagenen Gitarrenakkord davonzufliegen. Jason Molina ist zu einem der angesehensten Singer/Songwriter gewachsen. Gerne und häufig wird an Stammtischen mit einem weichen Herz für wohlig-depressive Liebeslieder aus den staubigen Satteltaschen des alternativen Folks die Geburtsgeschichte Songs: Ohias erzählt. Es war 1994: Eine Kassette mit Jasons Songs machte die Runde unter Freunden. Irgendwie erreichte ein Exemplar auch Will Oldham, der wiederum so begeistert war, dass er umgehend zwei Stücke als Single auf seinem eigenen Label veröffentlichte. Seither folgten vier Alben die Songs: Ohia weiter hinaus treten ließen aus dem Palace-Schatten, bis der Name spätestens mit The Lioness, der jüngsten und bislang besten Platte, in einer Reihe mit anderen großen Namen des Genres, wie Schottlands Appendix Out oder der Chicagoer Singer/Songwriterin Edith Frost steht.

Aber brauchen wir wirklich noch mehr Liebeslieder? Hat nicht jeder schon das mentale Mixtape für den/die Angebetete(n) griffbereit? Nun, solange sich auf Songs: Ohia Platten Textzeilen finden wie „I watched you hold this sun in your arms ... / it grew so pale next to you / the world is so pale next to you/ your hair is coxcomb red / your eyes are viper black“ (“Coxcomb Red“), solange Jason Molina seine hell quäkende Stimme durch markerschütternde Schräglagen steuern kann, und solange beidem nicht kein Hauch der Prätention nachhängt, muss die Antwort wohl Ja lauten.

Jetzt kommen Songs: Ohia zum zweiten mal nach Hamburg, vergangenes Jahr spielten sie ein knochentrockenes Trio-Set. Was haben wir dieses Mal zu erwarten? „Wir sind zu viert unterwegs“, erzählt Jason Molina, „und die Besetzung der Band mit Chicagoer Musikern aus völlig unterschiedlichen Richtungen wird viel Freiraum für Improvisation lassen. Wir haben während der Proben mit sehr reduzierten Arrangements gearbeitet, die viel Interpretations-Spielraum lassen.“ Improvisation ist für Molina auch in Bezug auf den Gesang ein zentraler Aspekt. „Oft habe ich vorab keine Vorstellung, wie sich die Melodie eines Songs entwicklen wird. Wenn meine Stimme im Verlauf des Stücks jenen Punkt berührt, an dem der Gesang vollständig aus dem Song kippen würde, ohne dies letztlich zu tun, dann hat es funktioniert.“ Und selten funktionierte es besser als auf The Lioness. Wogende, konzentrierte Songs mit der Erhabenheit einer heranrollenden Pazifikwelle und der desolaten Isolation nächtlicher Fussgängertunnel. Was uns wieder zur anfänglichen Ambivalenz zurückführt.

Für einen weniger tristen Kontrapunkt sorgt im Vorprogramm der Klavierspieler und Sänger Parker Paul. Der ehemalige Keyboarder der Royal Trux spielt sich durch ein humorvolles Set zwischen Randy Newman und klassischem Vaudeville. Dass dabei auch schon mal die Qualitäten von Zitronengras gelobpreist werden, deutet an, dass Parker Paul Sinn für die kleinen Dinge des Lebens hat. Und solche Menschen sind eigentlich immer sympathisch ...  

Sonnabend, 21 Uhr, Knust