Filmstarts à la carte
: Der Massenmörder, der nur Metzger metzelt

Denkt man an Jean-Louis Barrault, so fällt einem sicher zuerst seine glänzende Darstellung des Pantomimen Debureau in Marcel Carnés „Die Kinder des Olymp“ (1945) ein. Doch bereits fast zehn Jahre zuvor hatten Barrault und Carné schon einmal zusammengearbeitet: In „Drôle de Drame - Ein sonderbarer Fall“ verkörpert Barrault den sensiblen und in seinem Redeschwall kaum zu stoppenden Massenmörder William Kramps, der ausschließlich Schlachter metzelt, und dessen Philosophie lautet: „Ein wenig Geld, ab und zu ein Metzger, ein wenig Sonne, ein wenig Liebe...“ Den absurden Humor der Groteske verdanken wir allerdings noch einem anderen häufigem Mitarbeiter Carnés: dem surrealistischen Autor Jacques Prévert, der mit spürbarem Spass die Geschichte um einen unter Pseudonym Krimis verfassenden Botaniker, den vermeintlichen Mord an seiner Gattin, einen Kommissar, der ausschließlich im Schlaf arbeitet sowie William Kramps‘ Verwicklung in den hochkomplizierten Fall fabulierte.

„Drôle de Drame - Ein sonderbarer Fall“ 14.9 im Arsenal 1, 15.9. im Arsenal 2

Über die Melodramen, die er in den zwanziger Jahren in England gedreht hatte, redete Alfred Hitchcock nicht gern. Bestenfalls erzählte er in seinen Gesprächen mit François Truffaut einmal eine Anekdote und wechselte dann schnell das Thema. Doch gerade in diesen Filmen treten viele Motive zu Tage, die Hitchcock in späteren Jahren oft variierte: So findet sich etwa in seinem letzten Stummfilm „The Manxman“ (1929) das demütigende öffentliche Bekenntnis in Gerichtsprozessen und Ermittlungsverfahren wie man es auch aus „The Paradine Case“ und „I Confess“ kennt, und das in Hitchcocks Universum von Schuld und Sühne einen festen Platz einnimmt. In „The Manxman“ ist es der sogenannte Deemster selbst, der oberste Richter der Isle of Man, der einen Fehltritt einräumen und den Stuhl räumen muß. Auslöser für dieses Geschehen ist einmal mehr die Leichtfertigkeit eines Mädchens. Die impulsive Gastwirttochter Kate (Anny Ondra) ist eigentlich mit dem Fischer Pete liiert, dem sie etwas voreilig ein Heiratsversprechen gibt. Doch schon in ihrer ersten Szene läßt Hitchcock durchblicken, dass ihre Zuneigung letztlich Philip - dem Anwalt und späteren Deemster - gehören wird: Sie reicht Pete und Philip zur Begrüßung gleichzeitig die Hand, doch ihr Blick verweilt auf Philip. Die melodramatische Spannung des Films beruht auf einem Prinzip, das den Zuschauer in ein Wechselbad der Gefühle stürzt: Jede gute Nachricht verkehrt sich schon kurze Zeit später in ihr Gegenteil. Kate und Philip erfahren vom vermeintlichen Tod ihres Freundes Pete. Sie glauben, der Weg sei frei für ihre Liebe - doch bereits die nächste Einstellung zeigt den munteren und quicklebendigen Pete, der seine Rückkehr ankündigt. Und so wird Kate zwar Pete heiraten, doch das Baby stammt von Philip.

„The Manxman“ 15.9., 17.9. im Filmmuseum Potsdam

MGM-Produktionsleiter Irving Thalberg glaubte, das Thema werde an der Kinokasse keinen müden Cent einspielen. Doch dann verkaufte sich Margaret Mitchells Bürgerkriegs-Roman „Vom Winde verweht“ plötzlich besser als die Bibel. Und der Glückspilz, der die Rechte erworben hatte, hieß David O. Selznick. Die Verfilmung des Südstaatenmelodrams nahm allerdings Jahre in Anspruch, verschliss diverse Drehbuchautoren und Regisseure (den Credit bekam Victor Fleming) und brachte angesichts der immensen Produktionskosten auch MGM zurück ins Geschäft. Heute gehört die Geschichte um die Südstaatenschönheit Scarlett O‘Hara, die mit schierem Überlebenswillen zwar den Bürgerkrieg übersteht, aber dank ihrer Egozentrik die mögliche große Liebe ihres Lebens immer wieder verpasst, zu den besten Beispielen der von Produzenten dominierten Filme aus Hollywoods Studiosystem: eine handwerklich perfekte Unterhaltung zwischen intimem Melodram und epischer Action, angetrieben von der Besessenheit des größenwahnsinnigen Selznick.

„Vom Winde verweht“ 17.9. im Arsenal 2

Lars Penning