: Das doppelte Städtchen
Die ehemals geteilte Stadt hat immer noch vieles doppelt und dreifach: Opern, Unikliniken, Eissporthallen und Zoos. Die große Koalition hat sich um viele Strukturentscheidungen gedrückt
von DOROTHEE WINDEN und RALPH BOLLMANN
Die Eisbären-Fans feuern die Spieler auf der Eisfläche an, als wäre es ein Pokalspiel und nicht etwa das erste öffentliche Saisontraining der Eishockey-Profis. Die tausend Fans, die in die Halle nach Hohenschönhausen gekommen sind, bejubeln jedes Übungstor mit Sprechchören. Es ist eine eingeschworene Gemeinde, die sich in dem „Wellblechpalast“ eingefunden hat, wie die Eishalle wegen des hohen gewölbten Daches heißt.
Die Aussicht, sich die Halle künftig mit den Capitals, einer gegnerischen Mannschaft aus dem Westen, teilen zu müssen, strapazierte das Fangemüt in den letzten Wochen ganz gehörig. Ein kurz geschorener Ordner, der den Aufgang zur Tribüne bewacht, sagt: „Ich glaube nicht, dass das auf Dauer gut geht. Das gibt Reibereien.“ Sein Kollege protzt vollmundig: „Die Capitals, die kommen hier doch gar nicht rein!“ Dass sich das Land keine zwei Eissporthallen leisten kann, will man nicht einsehen.
Senat auf dem Glatteis
Der Senat hatte im Julibeschlossen, dass die Capitals nach dem Abriss ihrer Eishalle an der Charlottenburger Jafféstraße im Sportforum Hohenschönhausen spielen sollen. In Erahnung der Proteste hatte die große Koalition vereinbart, SPD-Sportsenator Klaus Böger nicht mit der unpopulären Entscheidung allein zu lassen, sondern das gemeinsam durchzustehen.
Doch nun schert der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) aus. Vor der CDU-Fraktion sprach er am Dienstag ein Machtwort: Die Capitals sollen für die nächsten drei bis vier Jahre ein Ausweichquartier in der leer stehenden Deutschlandhalle beziehen, also in unmittelbarer Nachbarschaft der bisherigen Eishalle. Für die Eishockey-Vereine ist es eine erlösende Nachricht.
Doch damit wird ein Senatsbeschluss von erheblicher symbolischer Bedeutung in Frage gestellt: Die Entscheidung für den Abriss der Eishalle im Westteil der Stadt war der Versuch, eines der verbliebenen Doppelangebote anzutasten, die es aufgrund der geteilten Geschichte der Stadt noch gibt. Die Stadt alimentiert drei Opernhäuser, zwei Zoos, drei Universitäten und zwei Universitätsklinika. Leisten kann sich die hoch verschuldete Stadt das nicht. Doch bislang wagte sich die große Koalition nicht an die harten Strukturentscheidungen heran.
Das Problem: Fast immer sind es die Ost-Einrichtungen, die wegen maroder Bausubstanz, veralteteter Technik oder überzähligen Personals weit mehr Geld verschlingen als ihre westlichen Pendants. Daraus einfach die betriebswirtschaftliche Konsequenz zu ziehen, wäre fatal für die innere Einheit der Stadt. Umgekehrt stecken den Politikern noch die wochenlangen Proteste nach der Schließung des Schiller Theaters 1993 in den Knochen. Doch nun, da die Sparpolitik nach dem Rasenmäherprinzip an ihre Grenzen stößt, wächst auch der Druck zu strukturellen Einschnitten.
Beispiel Hochschulmedizin: Als 1994 die Fusion der beiden Universitätskliniken Virchow und Charité beschlossen wurde, trauten sich die Politiker nicht, den Status des dritten Universitätsklinikums Benjamin Franklin in Steglitz anzutasten. Sie setzten auf die Spareffekte der Klinikfusion. Doch sechs Jahre später sind die Gelder so knapp, dass an keinem der Klinika der millionenschwere Investitionsbedarf befriedigt werden kann.
Es ist ausgerechnet die PDS, die derzeit das Unpopuläre wagt und nach Alternativen sucht. Geprüft werden zwei Modelle: Nach Variante A könnten die Unikliniken ihre MedizinstudentInnen künftig an einer gemeinsamen Medizinischen Hochschule ausbilden. Variante B sieht vor, das Uniklinikum Benjamin Franklin in ein städtisches Krankenhaus umzuwandeln. Der Haken: Da sich der Bund zur Hälfte an der Hochschulmedizin beteiligt, muss das Land womöglich Gelder zurückzahlen, wenn die Uniklinik in ein kommunales Krankenhaus umgewandelt wird.
Diskutiert wurde dieser Vorschlag schon vor zwei Jahren – und wegen des absehbaren Widerstandes schnell fallen gelassen. Auch in der PDS-Fraktion wurde der Plan verworfen: Als Ostpartei könne man sich doch nicht für die Schließung einer Westklinik einsetzen, hieß es.
Zwei Jahre später steht die Frage des Standortes im West- oder im Ostteil der Stadt nicht mehr so stark im Vordergrund. „Ob das eine Rolle spielt, hängt sehr stark davon ab, wie hoch die Identifikation mit der betroffenen Einrichtung ist“, sagt PDS-Fraktionschef Harald Wolf. „Ost oder West, das kann nicht das Thema sein. Entweder es ist eine sachgerechte Entscheidung oder nicht.“
Ruiniertes Theater
Auch im Kulturbereich leidet die Stadt noch immer unter den Folgen der Teilung. Die einzigen Bühnen, deren Platzkapazität und technische Ausstattung nach dem Fall der Mauer großstädtischen Ansprüchen genügte, lagen im Westteil der Stadt. Doch das kulturelle Zentrum wanderte in den Osten zurück, die Deutsche Oper und das Schiller Theater fanden sich im Abseits wieder. Berlins größtes Schauspielhaus, erst in den Achtzigerjahren mit großem Aufwand modernisiert, wurde geschlossen – und von privaten Betreibern derart heruntergewirtschaftet, dass es heute fast eine Ruine ist.
Im Fall der Deutschen Oper wollen Berlins Kulturpolitiker diesen Fehler nicht wiederholen. Im Gegenteil: Im Zuge der geplanten Opernfusion soll das Haus an der Bismarckstraße zur führenden Musikbühne der Hauptstadt aufsteigen. Aufwändige Produktionen wie Wagners „Ring“-Zyklus sollen nur noch dort zu sehen sein, wo die nötige Technik vorhanden ist und fast 2.000 zahlende Zuschauer Platz finden. Alles deutet darauf hin, dass die östliche Staatsoper Unter den Linden zur zweiten Spielstätte des neuen Opernkolosses degradiert wird.
Unis suchen Profil
Auch die Universitäten stehen nach Ansicht von PDS-Fraktionschef Harald Wolf vor der Aufgabe, über weitere Kooperationsmöglichkeiten nachzudenken. Wolf denkt dabei an ein Kooperationszentrum der Naturwissenschaften aller drei Unis im Wissenschafts- und Forschungspark Adlershof. „Wenn man Adlershof ernst nimmt, wäre das sinnvoll.“
Eine Arbeitsteilung anderer Art hat die CDU-Abgeordnete Monika Grütters vorgeschlagen: Während die Humboldt-Universität eine Staatsuniversität alten Schlages bleiben soll, will Grütters die Freie Universität in eine private Stiftungshochschule umwandeln. Auch dieser Vorschlag folgt einer Erkenntnis, die sich inzwischen weitgehend durchgesetzt hat: Einrichtungen, die mit hohem finanziellen Aufwand exakt das Gleiche tun, soll es künftig nicht mehr geben. Das Stichwort heißt „Profilbildung“.
Der CDU-Haushaltsexperte Alexander Kaczmarek nannte vor kurzem die beiden Sternwarten Berlins als ein weiteres, anschauliches Beispiel für unterlassene Strukturentscheidungen. Es sei nicht einzusehen, dass die Archenhold-Sternwarte in Treptow fast doppelt so viel Landeszuschuss erhalte wie die Foerster-Sternwarte in Steglitz, die von einem privaten Trägerverein geführt werde. Für Kaczmarek ist es jedoch weniger eine Frage von Ost oder West, sondern eher die Frage, ob eine Einrichtung wirklich mit staatlichen Geldern betrieben werden müsse.
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