Ein Prosit der Gemütlichkeit

Zur Eröffnung des Oktoberfestes auf dem Gendarmenmarkt zeigten sich der „preußische Warmduscher“ Diepgen und der bayrische Ministerpräsident Stoiber in Bierlaune. Exbundeskanzler Kohl stand nicht auf der VIP-Liste und kam trotzdem
von BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA

Nachtragend ist Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) anscheinend nicht. Vergessen scheint die Schmach, als er nach seinem Ja zur Steuerreform vom Generalsekretär der CSU als „preußischer Warmduscher“ bezeichnet wurde. Als am Mittwoch abend zum ersten Mal der „Auftakt zum Münchner Oktoberfest“ auf dem Gendarmenmarkt mit drei Salutschüssen begrüßt wurde, passte zwischen Eberhard Diepgen (CDU) und den Vorsitzenden der CSU, Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, gerade einmal eine weißblau karierte Tischdecke. Dass der Applaus für Diepgen im Vergleich zu dem für Stoiber ein Witz war und Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) als „unser Freund“ begrüßt wurde, nahm Diepgen hin, als sei er schwerhörig.

„Ich freue mich, dass nach den Schlachtentagen alle friedlich zusammensitzen beim Bier“, verkündete der Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Reinhold Bocklet (CSU), von der Bühne herunter. „Fühlen Sie sich wohl bei den Bayern, hier gibt es nur Gemütlichkeit und nette Menschen.“ So gab sich auch der römisch-katholische Doktor konziliant. Trotz Stoibers schmerzlicher Niederlage bei der Steuerreform durfte ihm neben Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) auch der „preußische Warmduscher“ beim Fassanstich assistieren. Diepgen, ein Skeptiker vor dem Herrn, bemerkte, kurz bevor Stoiber den Hammer schwang: „Gemeinsam bespritzt ist halb bespritzt.“ Doch der Bayer ließ den Preußen auf dem Trockenen sitzen. Gekonnt verhalf Stoiber mit nur zweieinhalb Schlägen dem Bier zum Durchbruch. Nach einem „Prosit der Gemütlichkeit“, forderte Staatssekretär Bocklet die 3.000 Gäste auf, sich „sauwohl“ zu fühlen. Das ließen sich all die Bundestagsabgeordneten, Staatssekretäre, Botschafter, Senatsmitglieder und das Verwaltungsfußvolk nicht zweimal sagen. Vom 680-Kilo-Ochsen „Flori“ blieben nur die Knochen übrig. Runtergespült wurden Weißwürste, Leberkäs, Sauerkraut und Brezn mit 5.000 Litern Bier.

Ein Liter davon floss durch die Kehle eines Herrn, der nicht auf der VIP-Liste stand. Gegen 20 Uhr erschien Exbundeskanzler Helmut Kohl (CDU), der am Montag nach zehn Monaten Politikabstinenz zu einer Sitzung der CDU-CSU-Bundestagsfraktion erschienen war. Er setzte sich neben Stoiber, dem gegenüber bereits CDU-Fraktionschef Friedrich Merz Platz genommen hatte.

Kohl machte kurzen Prozess bei den Bayern: Nachdem er ein Bier getrunken, einige Worte mit Stoiber gewechselt und seinem früheren Finanzminister Theo Waigel (CSU) zugeprostet hatte, klopfte ihm der Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Michael Glos, noch schnell auf die Schulter, und dann geleitete ihn Stoiber zusammen mit Merz und unter mäßigem Beifall durch die Menge nach draußen. Einzelne Buhrufe gingen in der lauten Musik der Wiesn-Kapelle „Heidensteiner“ unter.

Münchner Oktoberfest im Bierzelt auf dem Gendarmenmarkt in Mitte läuft noch heute und morgen jeweils von 11 bis 22.30 Uhr

Zitat:„Fühlen Sie sich wohl bei den Bayern. Hier gibt es nur Gemütlichkeit und nette Menschen.“