zoologie der sportlerarten
: PROF. HOLGER HIRSCH-WURZ über den Boxer

Fliege auf Kinnspitze

Der homo pugilus, volkstümlich Boxer, ist entweder ein feiger Bursche oder er hat eine Plattnase und blaue Augen – außenrum. Wenn er der feigen Variante zuneigt, läuft er so emsig vor seinem Gegner weg wie Charlie Chaplin in „Lichter der Großstadt“ und nennt sich Techniker oder Konterboxer. Sein Gegner nennt ihn lieber Feigling, verliert aber dennoch, weil er nur ins Leere schlägt, während ihm der andere ab zu ein kleinen Jab ins Gesicht wischt.

Punktrichter sind dann gern schwer beeindruckt. Nicht allerdings, wenn der Kampf in Amerika stattfindet. Dort gewinnt derjenige, der am Ende noch halbwegs stehen kann, und nicht irgendein hasenfüßiger Wischer. Der Amerikaner ist ein klarer Fan der notorischen Plattnase. Beim Boxen müssen die Zähne knirschen, die Hirnrinde hat zu ächzen und das Blut soll aus den Augenbrauen sprudeln wie das Budweiser in die Kehle. Er liebt wüste Schläger wie Rocky Graziano oder Rocky Stallone, andererseits hasst er grobe Ghettogewächse wie Sonny Liston, Mike Tyson oder den jungen George Foreman, von deren brutaler Vitalität er aber gleichzeitig fasziniert ist. Ein Paradox, das dem Handwerk des homo pugilus in den USA eine Art ungehörige Bösartigkeit verleiht und beste Einschaltquoten garantiert.

Der Amerikaner hasste auch den jungen Muhammad Ali, weil der nichts gegen Vietnamesen hatte und dem verrückten Weißenfresser Elijah Mohammed nachlief. Den alten Ali jedoch verehrt er sehr, vermutlich, weil der am Ende die Kunst des Weglaufens verlernt hatte und noch so mächtig Dresche bezog, dass er keine aufrührischen Reden mehr halten kann, sondern nur noch harmlos lächelt. Noch mehr als den mörderischen Punch liebt der Amerikaner indes die weiche Birne – was manche Präsidentenwahl maßgeblich beeinflusst hat.

Häufig glaubt der homo pugilus seine Fähigkeiten des Haltens und Schlagens problemlos auch außerhalb des Ringes anzuwenden. Dann gerät er leicht auf die schiefe Bahn und in schlechte Gesellschaft. In Amerika bedeutet dies Don King und die Mafia, in Deutschland das Milieu und Heiner Lauterbach. Weil zu viel Milieu in Deutschland die Quoten drückt, hat RTL einst extra eine neue Art des homo pugilus erfunden, den homo pugilus moralis. Der heißt Henry Maske oder Axel Schulz und muss nicht mal gewinnen, um berühmt zu werden.

Der ärmste Hund ist der Amateurboxer, homo pugilus pauper, nicht nur weil er ständig ein albernes Unterhemd tragen muss, anstatt breitbrüstig mit seinen Oberkörpermuskeln zu protzen, und einen Kopfschutz, der ihm eine klägliche Existenz als semianonymes Weichei auferlegt. Zum Verstecken der empfindlichsten Regionen unter dickem Schaumstoff fehlt bloß noch, dass er die ganzen drei Runden lang „Nicht hauen, nicht hauen“ brüllt. In seiner vollkommensten Variante stammt der homo pugilus pauper aus Kuba, ist eigentlich unschlagbar, wird aber permanent von den Punktrichtern behumst. Wenn er doch mal gewinnt, muss er den Sieg Fidel Castro widmen. Zur Belohnung bekommt er dann ein Fahrrad oder darf sich eine siebenstündige Fidel-Rede live anhören.

Kaum ein anderer Sportsmann neigt so stark wie der homo pugilus dazu, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten, wobei das Verprügeln von Polizisten und Hausmeistern noch zu den minderen Delikten zu zählen ist. Demgegenüber steht eine eher geringe Zahl der Unterart homo pugilus softicus, sog. Gentleman-Boxer, die oft über ein so genanntes Glaskinn verfügen, wie zum Beispiel Floyd Patterson, dem man nachsagte, er sei bereits umgefallen, wenn sich eine Fliege auf seine Kinnspitze setzte. Eine These, die empirisch zu überprüfen unsere noch so junge Disziplin der Sportlerzoologie leider über Jahrzehnte versäumte.

Wissenschaftliche Mitabeit:
MATTI LIESKE

Autorenhinweis:Hirsch-Wurz, 60, ist ordentlicher Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungs-Exzentrik in Göttingen