DIE EU-SANKTIONEN WAREN GUT FÜR ÖSTERREICH UND GANZ EUROPA
: Ein wunderbares Scheitern

Blamage, Blamage. So ertönt es allerorten. Hat sich die EU aber wirklich blamiert, als sie die vor wenigen Monaten beschlossenen Sanktionen gegen Wien aufhob, ohne dass sich an der Situation, die zu den Sanktionen führte, etwas geändert hat? Die rechtspopulistische und fremdenfeindliche FPÖ, die Partei mit der „extremistischen Ausdrucksweise“ (Bericht der drei EU-Weisen), deren Repräsentanten zuweilen Naziterminologie verwenden, ist und bleibt vorerst Regierungspartei.

In der Tat: Die EU ist gescheitert. Das deklarierte Ziel, die Machtteilhabe der FPÖ des Jörg Haider zu verhindern, ist nicht erreicht worden. Auch durch den europäischen Druck war die schwarz-blaue Regierung Schüssels nicht zum Aufgeben gezwungen. Und jetzt noch der EU-Rückzieher.

Ist also das jetzt losbrechende schwarz-blaue Triumphgeheul über das Scheitern der EU gerechtfertigt? Mitnichten!

Das europäische Scheitern ist ein wunderbares Scheitern. Die positiven Effekte der Sanktionen gegen die Wiener Regierung werden in Europa und Österreich noch spürbar sein, wenn die diplomatische Ungeschicklichkeit der konkreten Maßnahmen gegen Wien längst vergessen ist.

Zunächst einmal: Hätte es nicht den europäischen Aufschrei gegeben, Jörg Haider säße heute wahrscheinlich als Vizekanzler in der Regierung. Wie auch immer sein Einfluss in seiner Partei sein mag: Er war durch den internationalen Druck gezwungen, als Vorsitzender seiner Partei zurückzutreten. Europa hat Haider in die Kärntner Provinz verjagt. Und ein Comeback in der österreichischen Bundespolitik erscheint sehr unwahrscheinlich.

Entgegen allen Erwartungen hat auch die österreichische Bevölkerung – trotz nationaler Aufwallung – begriffen, dass mit Jörg Haider kein Staat zu machen ist. In Umfragen verliert er an Popularität. Und die österreichische Regierung wurde zu demokratischem und menschenrechtlichem Wohlverhalten gezwungen. Die scharfe europäische Reaktion auf die FPÖ-Regierungsbeteiligung hat darüber hinaus grenzüberschreitend eine Diskussion über die europäischen Werte, über Rassismus und Xenophobie in Gang gesetzt. Es ist wahrscheinlich, dass die Aufregung über den Rechtsextremismus in Deutschland ohne den „Fall Österreich“ nicht in all ihrer Ernsthaftigkeit entstanden wäre.

Zunehmend beginnen sich im Lichte Österreichs europäische Rechtsparteien von den Ideen Haiders zu distanzieren. Die Charme-Offensive Silvio Berlusconis in den europäischen Metropolen soll vor allem verhindern, dass Italien unter einer rechten Regierung zu einem europäischen Schmuddelkind wird. Selbst der Haider am nächsten stehende italienische Politiker, Umberto Bossi (Lega Nord), muss sich demonstrativ distanzieren.

Vor allem für die osteuropäischen EU-Kandidaten hatten die Anti-Wien-Sanktionen zivilisatorische Funktion: Dort weiß man nun, dass eine Regierungsbeteiligung einer Partei wie der FPÖ einen Beitritt erschwert. Die Weisen haben nicht nur einen weisen und objektiven Bericht über Österreich, seine Regierung und die Natur der FPÖ geschrieben. Sie haben auch Vorschläge gemacht, wie man in Zukunft schon präventiv österreichische Konstellationen anderenorts verhindern kann. Wie man verbindliche Regelungen im Rahmen der EU schaffen kann, die die europäischen Werte auch institutionell absichern. Folgt die Union diesen Propositionen, dann ist ein gewaltiger Schritt in der politischen Integration Europas getan.

Und schließlich stärkte die europäische Reaktion die österreichische Zivilgesellschaft, die im europäischen Geist gegen Fremdenhass und Rassismus auftritt. Ohne die Sanktionen hätte sich die österreichische Kulturszene nicht so widerständig gezeigt und hätte die größte Massenmobilisierung im Land seit 1945, mit gewaltigen Demonstrationen gegen Schwarz-Blau, nicht stattgefunden. Die Mobilisierung mag jetzt nachlassen. Aber sie hat jetzt schon eine ganze Generation von jungen Österreichern geprägt, die die Zukunft des Landes maßgebend mitbestimmen wird. Und wenn’s nach ihr geht, wird die wirklich europäisch sein.

Ein Nachruf auf die Sanktionen könnte folgendermaßen lauten: Sie hatten ein kurzes und – wienerisch gesprochen – patschertes Leben. Sie haben aber Großartiges geleistet. Die Nachwelt wird ihrer noch lange gedenken. GEORG HOFFMANN-OSTENHOF

Leiter des Auslandsressorts beim österreichischen Magazin Profil