Zurück in der Mitte Europas

Salve, Austria! Alles verziehen, Sanktionen aufgehoben. Nach dem EU-Politik-Debakel sind „Lehren für die Zukunft“ leicht zu fordern, schwer zu ziehen

aus BrüsselDANIELA WEINGÄRTNER

Gäbe es in der EU so etwas wie das Recht auf Gegendarstellung, hätte Frankreichs Präsident Jacques Chirac am Dienstagabend im Scheinwerferlicht und vor laufenden Kameras verkünden müssen: Die Sanktionen gegen Österreich sind aufgehoben. Denn beschlossen wurden sie am 31. Januar mit großem öffentlichem Getöse. Mehr als sieben Monate später müssen sich die gekränkten Österreicher mit einer dürren schriftlichen Erklärung begnügen. Da es für die Maßnahmen der 14 keine rechtliche Grundlage gab, gibt es eben auch keine Spielregeln dafür, wie sie beendet werden sollen.

Die „streng bilaterale“, aber doch vom jeweiligen EU-Ratspräsidenten dirigierte Österreich-Politik der vergangenen Monate hat bei Beobachtern und Beteiligten einen schalen Nachgeschmack hinterlassen. Deshalb scheint es auf den ersten Blick logisch, dass nun quer durch Parteien und Institutionen nach neuen rechtlichen Instrumentarien verlangt wird, die für die Zukunft in ähnlichen Fällen einen juristischen Fahrplan vorgeben.

Diese Zukunft wird nicht lange auf sich warten lassen. Im Frühling wählt Italien, und nach Prognosen könnte der Rechtspopulist Silvio Berlusconi in der nächsten Regierung sitzen. In Belgien, Dänemark und Frankreich treten ebenfalls knallharte Rechtsparteien an. Deshalb fordert Romano Prodi, aus dem Österreich-Debakel „Lehren für die Zukunft“ zu ziehen. Die Instrumente für solche Probleme müssten verfeinert, der EU-Vertrag müsse entsprechend geändert werden, um Krisen künftig zu vermeiden. Deutlicher will der Chef der EU-Kommission im Augenblick nicht werden. „Wir werden der Regierungskonferenz zur EU-Reform unsere Vorschläge unterbreiten – wenn sie ausgereift sind“, sagte sein Sprecher gestern.

Nach konkreten Vorschlägen sucht man vergeblich. Lediglich Belgien und Österreich fordern in überraschender Einigkeit, der Artikel 7 des Amsterdamer Vertrags müsse geändert werden. Der legt fest, dass – wenn ein Drittel der Mitgliedsstaaten oder die Kommission dies vorschlagen und das Europäische Parlament zustimmt – der Rat einstimmig feststellen kann, dass ein Mitglied die demokratischen Grundsätze der Union schwerwiegend und anhaltend verletzt. Dieses Mitglied darf sich an der Abstimmung nicht beteiligen. Sein Stimmrecht kann anschließend mit qualifizierter Mehrheit der Ratsmitglieder ausgesetzt werden.

Tatsächlich tun sich die Juristen schwer, darüber hinausgehende, vielleicht gar vorbeugende Sanktionsdrohungen zu ersinnen. „Die Bestimmungen in Artikel 7 EU-Vertrag reichen aus“, sagt Siegbert Alber, Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Ein Kommissar für Menschenrechte, wie die drei Weisen ihn in ihrem Bericht vorschlagen, könne aber keine juristischen Befugnisse haben. „Das wäre eine publizistisch-politische Lösung“, meint Alber.

Auch die übrigen von den „Weisen“ angeregten Maßnahmen wie ein Büro für Menschenrechte beim Rat der EU oder eine Kompetenzerweiterung der EU-Beobachtungsstelle Rassismus in Wien sind solche publizistisch-politischen Vorschläge – einklagbare Rechte garantieren sie nicht. Einzig die Charta der Grundrechte halten EU-Rechtsexperten für eine Möglichkeit, einheitliche Wertmaßstäbe für die Gemeinschaft zu schaffen. Sollte sie Bestandteil der EU-Verträge werden, könnte sie Grundlage für Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof sein.

Die großen Länder Italien und Frankreich stünden dann unter ebenso strenger Beobachtung wie die kleinen und politisch schwächeren Mitglieder Österreich und Dänemark. Der Gipfel in Nizza im Dezember kommt dafür zu früh – Europa scheint noch nicht reif für ein gemeinsames Grundgesetz. Dort wird bestenfalls erreicht, dass die Ächtung eines Staates nicht mehr einstimmig erfolgen muss, sondern die qualifizierte Mehrheit dafür ausreicht. Der Artikel 7 des Amsterdamer Vertrags würde dadurch an Schlagkraft gewinnen.