Kommunist, Satiriker, Revolutionär

■ Der Kubaner Daniel Chavarría liest heute zum Abschluss der Bre-mer Krimitage aus seinem Buch „Die Radfahrerin“. Ein Interview

Eine dicke Zigarre ziert das Cover des Romans „Die Radfahrerin“ des 1933 in Uruguay geborenen Daniel Chavarría. Die Banderole weist das Stück Rauchwerk als kubanisches Produkt aus. Unten ist eine Orchideenblüte drapiert. Phallisches Arrangement, gewiss, das verweist auf den Zusammenhang von Sexualität, Ökonomie und Politik. Da weiß man gleich, wo's langgeht. Daniel Chavarría selbst ist ein freundlicher älterer Herr, der ganz selbstverständlich sagt: „Ich bin Kommunist und Revolutionär“. Dass man trotzdem fröhlich und weltmännisch sein kann, ist der vielleicht spannendste erste Eindruck. Von Verbitterung und Isolation ist bei Chavarría, der heute zum Abschluss der Bremer Krimitage aus „Die Radfahrerin“ lesen wird, nichts zu spüren. Wir sprachen mit dem Autor über sein Werk und das Bild der kubanischen Gesellschaft, das er darin entwirft.

In Ihrem Roman spielt das Stilmittel der Groteske und Komödie eine wichtige Rolle bei der Beschreibung kubanischer Verhältnisse. Warum?

Als ich an diesem Roman schrieb, war ich sehr pessimistisch, was die Lage in Kuba angeht. Die Situation war schrecklich. Ich saß damals mit einer meiner Studentinnen in einem Café. Und sie sagte irgendwann: „Professor, ich bin eine Hure.“ Dann erzählte sie ungefähr die Geschichte, die später Ausgangspunkt des Romans war. Ich hatte aber nicht das Gefühl, eine Kritik an den Verhältnissen zu schreiben. Ich habe nur eine Geschichte erzählt. Mittlerweile ist die Prostitution zurückgegangen. Meine Protagonistin ist keine typische Prostituierte. Sie ist keines der armen Mädchen, die aus den Außenbezirken nach Havanna kommen, um dort in Kontakt mit reichen Touristen zu treten. Die Figur der Alicia gehört eher zum alten kubanischen Establishment. Sie war in Europa, spricht mehrere Sprachen. Meine Intention war nicht, das politische Drama zu beschreiben. Dennoch bildet es den Background des Romans. Es ist Teil kubanischer Realität. Meine Frau ist eine Professorin. Trotzdem verdient sie im Monat weniger als manche der Prostituierten in einer Nacht. Aber man muss hinzufügen, dass der Lebensstandard besser ist als in vielen anderen lateinamerikanischen Staaten.

Wie wurde das Buch in Kuba aufgenommen?

Der Text erschien, wie gesagt, in einer mexikanischen Zeitschrift. Die Verbreitung war nicht sehr groß. Aber ich habe festgestellt, dass selbst die konservativsten unter den Revolutionären gelacht haben. Die meisten Menschen haben nun mal einen Sinn für Humor und Sex.

„Die Radfahrerin“ beginnt mit zwei kurzen Episoden. In beiden geht es um die Nutzung, vielleicht Ausbeutung der Touristen: Bei Alicia, der radfahrenden Prostituierten, auf der individuellen Ebene, bei den Verhandlungen im Tourismusministerium um die Finanzierung einer Ferienanlage auf der volkswirtschaftlichen Ebene. Spiegelt sich in dieser Parallelisierung Kubas postkoloniale Entwicklung wieder?

Das ist natürlich eine zynische Position, pendelnd zwischen dem romantischen revolutionären Ideal und den kapitalistischen Touristen. Alicia spielt ein wenig mit der Tatsache, dass sogar die reichsten Touristen mit einer sentimentalen Sympathie Kuba besuchen. Eigentlich aber ist sie eine indifferente Opportunistin. Sie ist Überbleibsel der bourgeoisen Klasse. Wenn sie ihren Lovern gegenüber äußert, es mache sie traurig, dass man mit dem Geld, das für ein schickes Abendessen ausgegeben wird, eine normale Familie einen Monat ernähren könnte, spricht sie eine Realität an, auch ein Sentiment. Aber eigentlich betrifft es sie genauso wenig, wie es sie wirklich interessiert.

Heute Abend treten ausgerechnet Sie, der, gewollt oder nicht, Kuba-Bilder dekonstruiert, beim so genannten „Kuba-Spezial“ auf. Wie geht das?

Ich bin gestern angekommen. Noch weiß ich gar nicht so genau, was da passieren wird. Wahrscheinlich werde ich etwas lesen. Ich glaube, es gibt auch Musik. Warum nicht?

Langweilt es Sie nicht, oft eher als Informationsbüro über Kuba angesprochen zu werden – und nicht als Autor?

Wissen Sie, ich denke, ich bin genau der Richtige, Kuba jederzeit zu repräsentieren – und zu verteidigen. Fragen: Tim Schomacker

Heute 20 Uhr, Mensa Academia, Dechanatstraße 13-15