piwik no script img

Pellkartoffel an Tributylkrüstchen

■ Hochgiftiger TBT-Schlamm aus der Bremerhavener Kläranlage dient als Dünger für Felder. Das Zeug ist derart gefährlich, dass es noch nicht einmal auf das Spülfeld Luneplate durfte.

Neue Vorwürfe gegen Bremerhavener Behörden wegen des Umgangs mit dem Gift Tributylzinn (TBT): Bei seinen Messungen vor den Schlickaufspülungen im letzten Jahr auf die Luneplate hatte das Labor Nowak auch eine benachbarte Viehweide untersucht. „Dort haben wir Spaltprodukte von TBT gefunden, nämlich Dibutylzinn und Monobutylzinn. Auch diese Spaltprodukte sind giftig“, erklärte der Leiter des Messprogramms, Karl-Ernst Nowak, der taz. Seiner Einschätzung nach muss das Gift über Klärschlamm, der als Dünger benutzt wurde, irgendwann auf das Grünland ausgebracht worden sein.

Auf Nachfrage der taz bestätigte der Geschäftsführer der Bremerhavener Entsorgungsgesellschaft, Heinrich Ketteler: „Ja, wir bringen auch heute noch unseren Klärschlamm als Dünger in die benachbarte Landwirtschaft aus.“ Über den bäuerlichen Selbsthilfeverband „Maschinenpark“ wird der Klärschlamm in der Region verteilt. „Wir sind abgesichert durch die Klärschlammverordnung. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen zerfällt TBT unter Sonnen- und Sauerstoffeinfluss“, so Ketteler weiter.

Der Mann muss Hellseher sein, denn diese „wissenschaftlichen Erkenntnisse“ sollen unter anderem erst durch das kontrollierte Untersuchungsprogramm auf dem Spülfeld Luneplate gewonnen werden. Auf der Versuchsanlage untersucht das Land Bremen, ob, wie und unter welchen Bedingungen TBT aus Schlämmen abgebaut wird. Dazu wurden vor einem Jahr 100 000 Kubikmeter Schlick aus den Bremerhavener Häfen auf die Luneplate gespült.

Der Klärschlamm aus der Bremerhavener Kläranlage wäre erst gar nicht zum Aufspülen auf die Luneplate zugelassen worden. Er ist zu hoch mit TBT belastet. „Es wurden nur Schlämme mit einer Kontaminierung bis zu 600 Mikrogramm TBT pro Kilo Trockensediment zur Aufspülung zugelassen“, stellt Karl-Ernst Nowak fest. Der gefährliche Dreck aus der Bremerhavener Kläranlage ist aber mit mindestens 750 Mikrogramm TBT pro Kilo Trockensediment belastet, gibt der Kläranlagenchef Ketteler zu.

Untersuchungen, ob diese Klärschlämme umweltschädigend sind oder gar über die Nahrungskette in Lebensmittel gelangen und die Verbraucher schädigen, gibt es nicht. „Wir liegen in Bremerhaven mit unserem Dünger aus Klärschlamm noch unter den bundesdurchschnittlichen TBT-Werten“, betont Ketteler.

Zwei Unfälle hat es auf dem Spülfeld Luneplate mit hochgiftigem Bremerhavener Hafenschlick gegeben. Dabei wurde TBT freigesetzt wurde. Nach seinen Messungen sei das Spülfeld aber jetzt dicht, erklärte der Karl-Ernst Nowak. Grüne und eine Bürgerinitiative vor Ort hatten die Entsorgung des verseuchten Bremerhavener Hafenschlicks kritisiert (vgl. taz vom 9.9.). Vorwürfe der Grünen, auf der Luneplate würden nicht ausreichend neue Verfahren zur TBT-Entsorgung getestet, kommentierte der Sprecher des Bremer Umweltressorts, Holger Bruns, mit: „Völliger Quatsch.“

Ob hormonell wirkende Umweltgifte, dazu zählt auch TBT, generell Auswirkungen auf Menschen haben, ist bislang umfangreich unter anderem von Heike Jacobi an der Universität Oldenburg erforscht worden. „Wir wissen, dass diese Gifte Sexualorgane von Meerestieren missbilden. Bei einigen Tieren hat dies zur Unfruchtbarkeit geführt“, erklärt die Wissenschaftlerin, „für Menschen verstärkt sich der Verdacht, dass zumindest der Rückgang der Spermienqualität auf die Einwirkung von hormonell wirkenden Giften zurückzuführen ist“.

Thomas Schumacher

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen