Die Rabattmarkenverkäuferin

Zur Person: Loretta Würtenberger (notorisch hippe Start-up-Unternehmerin)

Die Zeiten sind vorbei, da die Notdürftigen im Lande ihre Verrichtungen still im Verborgenen erledigten, statt dies, wie es heute üblich ist, möglichst öffentlich zu tun. Loretta Würtenberger, 27 Jahre alte Mitbegründerin und Vorstandsfrau der Internetfirma Webmiles AG, ist zum Beispiel so eine, die ihr Wasser partout nicht nur nicht halten kann, sondern es auch vorzugsweise vor Publikum abschlägt. Ob Spiegel, Focus money, Brigitte, kaum ein Blatt hierzulande, dem sie in den vergangenen Monaten nicht irgendwelche ekligen Details (bzw. „coole, hippe Dinger“, wie sie das nennt) über ihre vornehmlich großen Geschäfte aufdrängte. Auch bei „Christiansen“ musste man sie schon eifrig aus dem Spülkästchen plappernd und plaudernd erleben. Und im Kress-Online-Dienst hinterließ sie, anlässlich ihres letzten Geburtstages, folgende Bremsspur: „Das Geburtstagskind des Tages nimmt sich an seinem Wiegenfest frei. Loretta Würtenberger, Gründerin und Vorstand von Webmiles, bleibt den ganzen Tag zu Hause, frühstückt ausgiebig, lässt die Kollegen für sich arbeiten und die Seele baumeln.“

Seelen aber baumeln bekanntlich nur, wenn man sie zuvor aufgeknüpft hat, und tatsächlich muss auch Frau Würtenberger ihre Seele längst gehenkt oder zumindest schon sehr früh verkauft haben. Wie sonst hat sie mit 20 Jahren bereits eine eigene Textilimportfirma leiten, mit 22 nach nur sechs Semestern ein Jurastudium beenden und anschließend über ein Folterthema wie „Der Filmurheber und Filmhersteller im französischen und europäischen Recht“ promovieren können, ehe sie im Alter von 25 auch noch Deutschlands jüngste Richterin wurde? Auch dass sie nur ein Jahr drauf, und zwar „freiwillig“, wie der Spiegel seltsamerweise betont, aus dem Staatsdienst ausschied, um ihr Internetgeschäft zu gründen, zeugt eher von chronischer Verstopfung als von seelischer Präsenz. Ein Eindruck, der sich dramatisch noch verdichtet, wenn Frau Loretta, ebenfalls im Spiegel, über eine „80 Quadratmeter große Terrasse“ in ihrer Firma zu schwärmen anhebt: „Da machen wir abends gemeinsam ein Bier auf“, um dann sehr niederschmetternd so zu enden: „Und dann wird noch mal eine Schicht eingelegt.“ Spätestens jetzt weiß man: Diese Frau sollte dringend auch mal ein paar Schichten beim Seelenklempner buchen.

Da sie das aber kaum tun wird, wird sie eine so ordinäre Zwangshandlung, wie das Geldscheffeln nun mal eine ist, weiterhin für „eine ganz andere Art des Arbeitens“ halten und allen Ernstes glauben, sie mache das alles „aus Spaß am Risiko und Spaß am Geschäft“. Und zwar an einem Geschäft, in dem man angeblich „drin sein“ müsse, „um die Luft vibrieren zu spüren und zu sehen, was für ’ne Aufbruchstimmung da ist“, wie es in der „Christiansen“-Runde neulich aus ihr herauspullerte.

Was aber sollen das für Vibrationen sein, wenn man, wie das bei Webmiles nun mal der sehr traurige Fall ist, nichts anderes tut, als doofe Internetsurfer zum noch dooferen Sammeln, Horten und Einlösen von Bonus- und so genannten Treuepunkten zu verleiten, also zum Kleben gewissermaßen von Rabattmarken? „Einloggen, einsammeln, einsacken“ heißt die entsprechend trübselige Devise, unter der sich da Frau Würtenberger und ihre allenfalls sich selbst vibrierenden Kumpane der achten Todsünde verschrieben haben, nämlich dem organisierten Abgreifer- und Schnorrertum. Auf den Strich gehen ist Ehrensache dagegen.

FRITZ TIETZ